Hinter jedem Tor wartet eine eigene Welt
„Das war noch zu Sowjetzeiten, das war leichter damals“, sagt Viktor. Er meint damit die Beschaffung einer Schiene aus dem nahen Steinbruch. Diese hat er als Träger in eine enge und schiefwinklige Raum-Konstruktion eingebaut. Drinnen erklärt er seinem Enkel im Licht einer Taschenlampe seine weiteren Pläne für das Gebäude, das er allein mit Schaufel und Eimer vier Stockwerke in die Erde gegraben hat. Der Blick von draußen zeigt – hoch über der Stadt – ein zweiflügeliges Garagentor, in die eine kleinere Eingangstür eingebaut ist.
Neben der schnöden Funktion als sicherer Abstellort für Fahrzeuge kennen wir die Garage aus den USA als mythisch umwehten Ursprungsort des Silicon-Valley-Booms – und bestimmter Spielarten des Punk. In Russland gibt es eine ganz andere Erzählung um die Garage und mit „Garaschniki“ sogar ein eigenes Wort für die Menschen hinter der dort im großen Stil betriebenen Schattenwirtschaft.
Diese Garagen sind nicht als Appendix properer Einfamilienhäuschen angelegt sondern als weitgehend autonome Kolonien um die Städte herum. Auf der Kola-Halbinsel haben so manche dieser Siedlungen die Anmutung von Slums. Autos gibt es in diesen Garagen nicht, eine probende Rockband schon. Doch ebenso Fitnessstudios, die Werkstatt eines Ikonenschnitzers und eine Wachtelzucht. Es ist eine lebendige informelle Parallelwelt mit unterirdischen Verbindungsgängen, wo sich hinter jedem Tor ein anderer Mikrokosmos verbirgt.
Es sind meist Männer mittleren und reifen Alters, die sich hier mit gehörigem Ernst und großem Einsatz verwirklichen. Und es ist eine junge Frau, die uns mit Kameramann Axel Schneppat mit in diese Welt nimmt: die in Berlin lebende Natalija Yefemkina in ihrem ersten langen Dokumentarfilm „Garagenvolk“. Sie habe die Neugierde getrieben, als Frau Einblicke in eine Sphäre zu nehmen, die in Russland von vielen Männern auch als diskretes Refugium vor den Routinen des Ehe- und Familienlebens genutzt wird.
[In fünf Berliner Kinos]
Vor allem aber sind die Garagensiedlungen leidenschaftlich betriebene Gegenentwürfe zu einem normierten Leben zwischen Jobs im Bergwerk („Du gehst im Dunkeln rein und kommst im Dunkeln raus und merkst gar nicht, wie du langsam stirbst“) und Plattenbauten.
Dass im Film eher Hobby-Tüftler vorkommen als wirtschaftlich einträgliche Garaschniki-Unternehmungen, dürfte vor allem der Kamerascheu Letzterer zuzuschreiben sein. Es verleiht „Garagenvolk“ gleichzeitig aber eine über den konkreten Ort hinaus weisende Metaphorik. Das legt auch die zurückhaltende Inszenierung ohne Interviews und Score nah, die viele Szenen im poetischen Halbdunkel lässt. Auf der letzten Berlinale erhielt Yefemkinas eindrückliche Studie den Heiner-Carow-Preis – auch, weil seine scheinbar so fremden, bizarren Szenarien auf uns zurück weisen. „Nicht die Figuren des Filmes leben in einer Parallelwelt, sondern wir“, hieß es in der Begründung der Jury.