Aretha triumphiert, Dylan rutscht runter

Von Listen geht eine gewisse Magie aus. Sie verwandeln die Welt in ein handliches Format. Zum Pop haben sie von Anfang an gehört. Was zum Hit wird, darüber entscheiden die Charts, eine Art wöchentlich erstellter Fieberkurve der Branche. Allerdings hat die Aussagekraft der Hitparaden nachgelassen, seitdem Musik immer weniger in Form von Tonträgern gekauft, sondern als Stream konsumiert wird. Auch dort herrscht das Prinzip der Liste. So zeigt der Audio-Dienstleister Spotify bei jeder Sängerin, jedem Musiker, jeder Band an, welches ihrer Stücke besonders beliebt ist, also am häufigsten abgerufen wird. Aber sind die meist gehörten Songs wirklich die schönsten?

Verschlossenes Siegertreppchen

Vor 17 Jahren hat das amerikanische Musikmagazin „Rolling Stone“ zum ersten Mal eine Liste der „500 besten Songs aller Zeiten“ veröffentlicht. Angeführt wurde sie von Bob Dylan, den Rolling Stones und John Lennon mit Stücken, die auch damals schon ziemlich alt waren: „Like A Rolling Stone“, „Satisfaction“ und „Imagine“. Es folgten Klassiker von Marvin Gaye („What’s Going On“, den Beach Boys („Good Vibrations), den Beatles („Hey Jude“) und the Who („My Generation“). Als die Tabelle 2010 aktualisiert wurde, blieb die Top 25 unverändert. Das Siegertreppchen im Rock’n’Roll-Olymp schien auf ewig besetzt zu sein. Kein Durchkommen für neue Hits und alternative Deutungen.

Bob DylanFoto: dpa

Umso revolutionärer wirkt das Best-of- Tableau, das der „Rolling Stone“ jetzt herausgebracht hat. Die Vorherrschaft der alten weißen Männer ist dahin, das Pop-Erbe wurde heftig durchgeschüttelt, wobei vieles durchs Rost gefallen ist. Angeführt wird die Liste nun von Aretha Franklin und ihrer Selbstermächtigungshymne „Respect“ (bislang auf Platz 6), vor Public Enemy („Fight The Power“) und Sam Cooke („A Change Is Gonna Come’“). Die Hälfte der Songs aus den Top 20 stammt von afroamerikanischen Künstler:innen, HipHop, Reggae und R&B brechen die Dominanz des sogenannten Classic Rock.

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Wegen seiner Rocklastigkeit wird dem „Rolling Stone“ gerne Bräsigkeit nachgesagt. Klar, die Rolling Stones (nun aber mit „Gimme Shelter“), Queen („Bohemian Rhapsody“), Fleetwood Mac („Dreams“) und Nirvana („Smells Like Teen Spirit“) sind weiter prominent vertreten. Aber mit Missy Elliot („Get Ur Freak On“), Outkast („Hey Ya!“), Beyoncé („Crazy in Love“) und Robyn („Dancing on My Own“) stehen nun auch Produktionen aus den nuller und zehner Jahren weit vorn.

Musikgeschichte neu schreiben

Abgestimmt haben 250 mehr oder weniger prominente Personen aus der Branche. Auf den von ihnen eingereichten 50er-Listen standen insgesamt 4000 Titel, die von der Redaktion dann zu den „500 besten Songs aller Zeiten“ komprimiert wurden. „Das Ergebnis“, so der „Rolling Stone“, „ist eine erweiterte Lesart von Pop, Musik, die ihre Geschichte mit jedem Beat neu schreibt“. Pop bleibt spannend. Das Beste an Listen ist, dass man über sie streiten kann.