Das Marsupilami wird 70 – und kommt nach Berlin
Sein Vokabular ist in den vergangenen 70 Jahren nicht wesentlich gewachsen. „Huba! Huba! Huba!“ und „Hopp!“, das waren die Worte, die vom Marsupilami bei seinem ersten Auftritt in der frankobelgischen Comicserie „Spirou und Fantasio“ zu vernehmen waren. Viele weitere sollten nach jenem 31. Januar 1952 auch nicht mehr hinzukommen.
Sich auszudrücken ist für das Dschungeltier dennoch kein Problem: Wer über eine so virtuose, raumgreifende Körpersprache verfügt wie das knallgelbe Tier mit den schwarzen Flecken auf dem Fell und dem acht Meter langen Multifunktions-Schwanz, der kann auf Worte weitgehend verzichten.
Deshalb ist das Marsupilami im Urwald des fiktiven Amazonas- Staates Palumbien, seinem Herkunftsland, ebenso souverän unterwegs ist wie im frankophonen Belgien, wo es große Teile der vergangenen sieben Jahrzehnte verbrachte. Oder in Berlin, wo ihn sein kommendes Abenteuer hinführen wird.
Dass das Phantasiewesen erst im Comic und später auch im Kino, in einem Videospiel und einer Disney-Animationsserie zum Weltstar werden sollte, war anfangs nicht zu erahnen. Ebensowenig, dass eines Tages ein Asteroid nach ihm benannt werden würde oder sich sein Konterfei auf Demonstrationen als Symbol für kämpferisches, meist politisch links stehendes Engagement wiederfinden sollte.
Vor wenigen Tagen verkündete die belgische Regierung zudem, dass man die neuen Reisepässe mit prominenten heimischen Comicfiguren verzieren werde, von Tim und Struppi über die Schlümpfe bis zum Marsupilami.
Einer der wichtigsten Zeichner der europäischen Comicgeschichte
Am Anfang war es eigentlich nur eine Nebenfigur, erdacht vom belgischen Comiczeichner André Franquin (1924 – 1997) für das zweite längere von ihm gezeichnete Abenteuer des Pagen Spirou und seines Freundes, des Reporters Fantasio.
Franquin, von dem auch andere international bekannte Figuren wie der chaotische Bürobote Gaston stammen, gilt bis heute wegen seines dynamischen Strichs, seiner lebendigen Figurenzeichnung, seiner modernen Dekors und seiner wilden Action- und Slapstick-Bildfolgen als einer der wichtigsten Zeichner der europäischen Comicgeschichte.
Dem Marsupilami begegneten Franquins Leserinnen und Leser vor 70 Jahren gegen Ende seiner Erzählung „Eine aufregende Erbschaft“. Hier tollt es fröhlich durch den Urwald, schwingt sich an seinem Schweif von Baum zu Baum, triezt andere Tiere mit anarchischem Witz oder schüchtert sie auch mal mit seiner unbändigen Kraft ein.
Und es spielt Spirou und Fantasio, die das Tier in Folge einer Erbschaft ausfindig machen sollen, ein paar Streiche – Auftakt einer lange anhaltenden Freundschaft. Fortan begleitete es die beiden bei vielen Abenteuern und half ihnen mit seiner Superkraft immer mal wieder aus der Patsche.
„Das Marsupilami war eine Überraschung – ein Wesen, das es so noch nicht gab, das sich aber sofort echt anfühlte“, erinnert sich der Berliner Comicautor Flix, Jahrgang 1976, an seine ersten Begegnungen mit der Figur. „Wie ein Baustein der Zoologie, der von Franquin entdeckt wurde.“ Das Tier „löste in mir sofort den Wunsch aus, mit ihm befreundet sein zu wollen.“
„Eines der charmantesten Comictiere aller Zeiten“
Flix ist einer der erfolgreichsten deutschen Comiczeichner, hat viele Jahre für den Tagesspiegel gearbeitet und ist seit Kurzem auch beruflich mit der Welt des Marsupilamis verbunden. „So eine Schöpfung gelingt einem Zeichner nur in den allerseltensten Fällen“, sagt er.
Darum war und ist es seine Lieblingsfigur im „Spirou“- Universum „und eines der charmantesten Comictiere aller Zeiten.“ Das Marsupilami sei „das personifizierte, freundliche Chaos, man steckt es an einen Ort und alles gelingt anders als erwartet. Das finde ich extrem sympathisch.“
Vor knapp vier Jahren holte Flix mit dem offiziellen Segen der belgischen Rechteinhaber Spirou und Fantasio nach Deutschland und ließ sie im Album „Spirou in Berlin“ ein Abenteuer zu Zeiten des Mauerfalls erleben. Dort tauchte das Marsupilami allerdings nicht auf, weil die Urheberrechte lange Zeit getrennt von denen für Spirou waren.
Als sich Franquin 1968 nach 17 Alben von Spirou und Fantasio zurückzog, blieben die Rechte für die beiden Figuren beim Verlag, andere Szenaristen und Zeichner setzten die Reihe fort. Die Rechte am von ihm erdachten Marsupilami hingegen nahm Franquin mit, dessen Erlebnisse wurden fortan in separaten Reihen fortgeführt.
Mehrere Jahrzehnte lang hat das Tier daher seine Abenteuer ohne die einstigen Weggefährten erlebt und sich dabei in jüngster Zeit noch einmal von einer neuen Seite gezeigt. So haben kürzlich der Szenarist Zidrou und der Zeichner Frank Pé mit ihrer düster-sozialkritischen Neuinterpretation „Die Bestie“ vorgeführt, wie viel bislang ungenutztes Potenzial in der Figur noch steckt.
[„Die Bestie“ war für manche Tagesspiegel-Leser:innen und Comic-Kritiker:innen eine der besten Veröffentlichungen des vergangenen Jahres. Die beiden Favoritenlisten gibt es hier und hier.]
Wie Alexander von Humboldt das Marsupilami traf
Inzwischen sind allerdings die Rechte am Marsupilami wieder an den „Spirou“-Verlag Dupuis gegangen, daher sind in jüngster Zeit vereinzelt neue Titel wie das Album „Der Zorn des Marsupilami“ in der regulären „Spirou“-Reihe erschienen.
Und in diesem Jahr kommt ein weiteres Abenteuer in Berlin hinzu, wie kürzlich bekannt wurde. Anfang August soll im Carlsen-Verlag Flix’ Marsupilami-Album „Das Humboldt-Tier“ erscheinen.
Das handelt laut Verlag davon, wie das Marsupilami einst von Alexander von Humboldt nach Berlin gebracht wurde, 150 Jahre lang im Naturkundemuseum verstaut wird und in den 1930er Jahren mit Hilfe von Magie plötzlich zum Leben erwacht.
Erste Bilder aus dem Band lassen vermuten, dass das Dschungeltier in Berlin Freundschaft mit einem Mädchen schließt, das an die Hauptfigur in Flix’ aktueller FAZ-Serie „Glückskind“ erinnert. Das Marsupilami und seine Berliner Gefährtin sind auf den in diesem Artikel gezeigten Bildern zu sehen, die der Verlag vorab veröffentlichte.
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Nebenbei hat Flix den Jubilar auch für eine aktuelle Impfkampagne eingespannt – und dessen Vokabular um ein derzeit sehr relevantes Wort erweitert.
Der Comic-Salon Erlangen hat kürzlich Comicschaffende um Zeichnungen für die Mobilisierung im Kampf gegen Covid-19 gebeten. Flix’ Beitrag: Ein fröhlich hüpfendes Marsupilami, das auf dem Arm drei Impfpflaster trägt, in seiner Sprechblase der Ausruf: „Huba-Huba-Pieks!“