Ritter der High-Tech-Generation

Er hat in London, Paris – und fast auch in Berlin – spektakuläre Bauten hinterlassen. Zum Beispiel das riesige, rundzeltartige Bauwerk Millennium Dome (heute O2 Arena) in Greenwich am Themseufer, Schauplatz der Feierlichkeiten zur Jahrtausendwende.
Richard George Rogers, 1933 in Florenz in eine Zahnarztfamilie geboren, hatte zur Hälfte italienisches Blut in seinen Adern. Ab 1938 wuchs er in England auf. Während des Militärdienstes nach Italien versetzt, kam er dort mit dem berühmten Architekten Ernesto Rogers, einem Onkel zweiten Grades, in Kontakt und entschloss sich, Architekt zu werden. Nach dem Studium in London und Yale (Connecticut) arbeitete er bei den berühmten Wolkenkratzerarchitekten SOM Skidmore, Owings & Merrill in New York City, bevor er 1963 in London mit Normen Foster sowie seiner und dessen Frau das Büro Team 4 gründete.

Aber Foster und Rogers konnten von unterschiedlicherem Naturell nicht sein. Kühl, distinguiert, beherrscht der eine, mitteilsam, warmherzig, temperamentvoll der andere. Das konnte nicht gut gehen, und so schloss Rogers sich 1969 mit dem Italiener Renzo Piano zusammen. Die beiden gewannen den Wettbewerb für das Centre Pompidou in Paris und realisierten den epochalen Bau zwischen 1971 und 1977. Ein Museum wie eine Industrieanlage, dazu von einer Größe, die alle Maßstäbe in der Pariser Innenstadt sprengte: Das war ein unerhörter Affront und ein in die Zukunft weisendes Fanal zugleich.

Wie beim Eiffelturm dauerte es viele Jahre, bis die Pariser Stadtgesellschaft den architektonischen Alien akzeptiert hatte. Für Lloyd’s of London baute er 1979-86 eine weitere Inkunabel der High-Tech-Architektur, ein Hochhaus mit außen liegenden Versorgungsleitungen und Kränen auf dem Dach, das aussieht wie eine Ölraffinerie. Auch dieser Bau hatte anfangs Akzeptanzprobleme, gehört aber heute zu den Wahrzeichen der Londoner City und dient häufig als Filmkulisse.

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Neben Nicholas Grimshaw, Norman Foster und Michael Hopkins zählte Rogers zum Quartett der vier bedeutenden britischen High-Tech-Apologeten. Es ging darum, die Bautechnik sprechen zu lassen, das Tragwerk (Stahlskelett zumeist) zur Wirkung zu bringen, durch designerische Überhöhung, aber auch durch leuchtende Farben. Und es ging um die Weiterentwicklung der Bautechnik, industrialisierte Bauweisen, Vorfertigung und somit Rationalisierung und Senkung der Baukosten.

In diesem Geist entstanden Gebäude für TV Chanel 4 und Tyne Tees TV 5, für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (1995) und die Justizbehörden in Bordeaux (1998). In seinen Terminals in London Heathrow und Madrid gehen Flugreisende aus und ein.

Sein „Zoofenster“ scheiterte an Investorenstreitigkeiten

Auch für Berlin entwarf er ein technizistisches Hochhaus, das „Zoofenster“ (1995), das jedoch wegen Investorenstreitigkeiten nie realisiert wurde; ebenso wenig wie seine großen Pläne für den Potsdamer Platz. Die lieferte dann Ex-Partner Renzo Piano. 50.000 Quadratmeter Bürofläche immerhin konnte er dort entlang der Linkstraße verwirklichen, die er in gewohnt technizistischer Manier gestaltete – und nicht ohne seinem früheren Partner augenzwinkernd eins auszuwischen, indem er das Terrakottafassadendiktat persiflierte, das dieser im Rahmenplan festgeschrieben hatte.

Eine intime Feindschaft verband ihn mit Prinz Charles, der bekanntermaßen eine traditionalistische Architekturauffassung vertritt. Der führte eine Art Kulturkampf gegen die zeitgenössische Moderne und torpedierte Rogers’ Projekte am Paternoster Square und für den Wiederaufbau der Königlichen Oper. Als ihm Charles 2009 auch noch ein Milliardenprojekt auf dem Gelände der ehemaligen Chelsea Kasernen abschoss, indem er auf royaler Ebene beim Bauherrn in Katar intervenierte, beklagte Rogers im „Guardian“ heftig, dass der Prinz sich keiner Debatte stelle, das sei undemokratisch und verfassungswidrig. „Ich glaube, er beschäftigt sich mit diesen Themen, weil er einen Job sucht, und in diesem Sinne habe ich Mitgefühl mit ihm“, so seine Einschätzung, mit der er sich mit der britischen Architektenschaft einig weiß.

Das Mitwirken an der Solar City in Linz verweist auf sein ökologisches Bewusstsein, das seine Arbeit, aber auch seine Lehre und Vortragstätigkeit mehr und mehr bestimmte. Mit dem Neubau des Parlaments in Wales zum Beispiel halbierte er dessen Energieverbrauch. Sein soziales Engagement setzte er im Büro in die Tat um. Die Direktoren in seiner Firma verdienen höchstens sechsmal das Gehalt des geringstbezahlten angestellten Architekten.

1991 schlug ihn die Queen zum Ritter und erhob ihn1996 gar als Baron Rogers of Riverside mit Sitz im Oberhaus in den Hochadel. Er trug trotzdem weiterhin lieber farbige Pullover. 2007 erhielt er den renommierten Pritzkerpreis, den „Nobelpreis Architektur“. Am Samstag starb Richard Rogers im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in London.