Coco Gauff ist mit 18 Jahren schon das Zugpferd

Die Zuschauer im Steffi-Graf- Stadion mussten sich entscheiden: Ein Goodie-Bag am Hundekehlesee überreicht von Turnierdirektorin Barbara Rittner oder von Coco Gauff unterschriebene Bälle, die die US-amerikanische Tennisspielerin nach ihrem 6:2, 7:6 (7:2)-Auftaktsieg gegen Landsfrau Ann Li beim Berliner Rasenturnier ins Publikum schlug.

Einige Fans zögerten nicht lange und beeilten sich, den Center Court auf der Anlage des LTTC Rot-Weiß Richtung Rittner zu verlassen. Die anderen erfreuten sich an der 18 Jahre alten Gauff, die erst geduldig und freundlich Interviews auf dem Platz gab, dann die Geschenke verteilte und schließlich auch noch minutenlang Autogramme schrieb und für Fotos mit den Zuschauern posierte. Alles erledigte sie mit einem warmen Lächeln.

Cori „Coco“ Gauff ist nicht erst seit ihrem Finaleinzug bei den French Open vor knapp zwei Wochen der aufgehende Stern am Tennisfirmament. Vor drei Jahren begeisterte sie als ganz junges Mädchen in Wimbledon und spielte sich dort als Qualifikantin erst in die Herzen der britischen Fans und dann bis ins Achtelfinale des wichtigsten Turniers der Welt.

2022 ist sie immer noch meist die jüngste in einem Teilnehmerfeld, allerdings agiert sie auf und neben dem Platz inzwischen mit einer Reife, die erstaunt.

Gauff stürmte 2019 ins Rampenlicht

In ihrem Match gegen Li spielte sie lange souverän und wackelte erst in der Endphase des zweiten Satzes ein wenig. Tatsächlich strauchelte sie sogar beim Matchball, machte den Punkt aber trotzdem. „Ich muss mich noch ein bisschen umgewöhnen, auf Sand rutscht man oft zu Bällen. Auf Rasen geht das natürlich nicht, deswegen bin ich beim letzten Punkt hingefallen“, erklärte sie im Siegergespräch und gab gleich Entwarnung: Verletzt habe sie sich bei der finalen Aktion nicht.

Für das Berliner Turnier wäre ein wie auch immer geartetes Ausscheiden von Coco Gauff bitter, ist sie nach den Absagen von Iga Swiatek und Naomi Osaka doch das absolute Zugpferd. Am Donnerstag geht es für Gauff im Achtelfinale weiter gegen Xinyu Wang, dann sind vielleicht auch noch ein paar mehr Fans auf der Anlage, um ihr zuzujubeln. Und um vielleicht auch zu beobachten, wie Gauff ihr Spiel weiterentwickelt hat.

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Als sie 2019 ins Rampenlicht stürmte, wirkte sie noch ungestüm, zuweilen ungeduldig. Inzwischen strahlt Gauff eine unglaubliche Ruhe aus, lässt sich auch von Rückschlägen kaum beeindrucken. Als sie gegen Li im zweiten Satz zweimal die Chance vergab, das Match mit eigenem Aufschlag zu beenden, sammelte sie sich im Tiebreak neu und dominierte wieder mit ihrem Service. „Ich wusste, dass ich freie Punkte bekommen würde, also konnte ich mich auf die Returns fokussieren“, sagte sie.

Zwischen den Ballwechseln sind ihre Bewegungen enorm sparsam dosiert. Sie schleicht beinahe von einer Seite zu anderen. Sobald das Spiel läuft, ist Gauff voll konzentriert und kann sowohl lange Rallies mitgehen, als auch schnelle Punkte machen und deckt dabei den ganzen Platz ab. Trotzdem hat sie noch Luft nach oben, das Wilde und Ungestüme kommt weiter bei ihr durch – oft führt das noch zu leichten Fehlern.

Gauff ist Gleichaltrigen weit überlegen

Und doch ist Gauff vielen gleichaltrigen Kolleginnen weit voraus, gerade körperlich. In Paris zog sie auch noch im Doppel ins Endspiel ein und wischte aufkommende Zweifel an ihrer Frische weg. „Ich habe in den Jahren so viel in die Vorbereitung gesteckt und hatte noch nie ein Ausdauerproblem“, sagte sie damals. Ihr Vater, der sie auf die Profikarriere vorbereitet hat und immer noch als Coach mitfungiert, hat früh die Grundlagen für den Erfolg seiner Tochter gelegt.

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Längst sind die Gauffs ein Familienbetrieb, in dem Coco das Geschäftsmodell darstellt. Das zahlt sich aus, nach den starken Leistungen bei den French Open klopft die Amerikanerin an die Tür zu den Top Ten der Weltrangliste. Dass sie sich längst nicht nur auf den Sport fokussiert, macht sie dazu noch wichtiger.

Gauff hat parallel ihren High-School-Abschluss geschafft und zuletzt auch mit Aussagen zu gesellschaftlichen Themen für Aufmerksamkeit gesorgt. In Paris schrieb sie nach ihrem Sieg im Halbfinale auf die Kamera: „Frieden! Beendet Waffengewalt!“ Immer wieder hat sie Stellung zur nicht abreißenden Serie von Amokläufen in den USA bezogen. Ihr Vater habe sie dazu ermutigt, erklärte sie. „Mein Team will, dass ich sage, was ich denke.“ Aussagen wie diese lassen Coco Gauff wie eine besonders reife 18-Jährige erscheinen. Und zu einer, von der in Zukunft noch viel zu erwarten ist. Im Tennis, aber nicht nur dort.