Wer hielt die beste Rede in diesem Jahr?
Wer schaffte das in diesem brüchigen, dunklen Jahr: Wer verband intellektuelle Kraft mit Wortwitz, dramaturgische Wucht mit Empathie? Wer hat den Augenblick getroffen und geprägt, wer hatte etwas zu sagen? Zum dritten Mal habe ich gefragt: Wer ist die Rednerin, der Redner des Jahres? 27 Journalistinnen und Journalisten haben mitgemacht; die Ehrung folgt kommende Woche, heute lauschen wir Vorschlägen und Begründungen.
Ute Brucker, „Weltspiegel“-Moderatorin vom SWR, sagt: „Charlotte Knobloch am 27. Januar bei der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus – mit der Mahnung ‚Passen Sie auf auf unser Land!‘“
Nicole Diekmann, ZDF-Kollegin und Autorin, schreibt: „Redner des Jahres ist für mich Arnold Schwarzenegger, der Anfang des Jahres nach dem verheerenden Sturm aufs Kapitol mit Donald Trump abgerechnet hat. Hoffen wir, dass es bis zur nächsten Wahl nachwirkt.“
Ileana Grabitz, Leiterin des Politik-Ressort bei „Zeit Online“, plädiert für Kamala Harris: „Ich empfand ihre Siegesrede als mitreißend, ihren Appell an die jungen Frauen (‚Ich bin die erste, werde nicht die letzte sein‘) als so authentisch wie bewegend.“
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Und auch der „SZ“-Autor Nils Minkmar blickt nach Amerika: „Joe Biden – stilprägend, weil er alle Schnörkel, ja allen Charme weglässt und rekonstruiert spricht, aber eben dadurch sehr vertrauenserweckend. Dann Emmanuel Macron, weil er, ohne Partei, die ihn stützt, nur die Rede hat, um seinen Kopf und Frankreich zu retten. Und in Deutschland Britta Haßelmann, weil sie immer so straight und mit trockenem Humor formuliert.“ Und damit zurück nach Deutschland.
Micky Beisenherz, der schreiben, podcasten und moderieren kann, sagt: „Also, bester Redner: definitiv Christian Lindner. Der Einzige, der zum Start der Ampel-Koalition frei und überzeugend reden konnte. Für ihn gilt allerdings wie für alle anderen Großen der Comedy: Seine Bits muss man unbedingt auf Englisch gucken.“ Weihnachtlicher Cliffhanger: Möglich, dass wir auf Lindner demnächst noch einmal zurückkommen werden.
[Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter]
Aber sicher ist das natürlich nicht, denn es war ein Wahljahr, und es gab Konkurrenz.
Kristin Schwietzer, für den MDR im ARD-Hauptstadtstudio, schreibt: „Auf Platz eins ist für mich Ralph Brinkhaus. Er beherrscht wie kaum ein zweiter die freie Rede im Parlament. 20, 30 Minuten ohne Skript. Jeder Satz auf den Punkt. Die Rede zur Regierungserklärung von Olaf Scholz war klug und rhetorisch geschliffen.“
Und Markus Feldenkirchen, Autor des „Spiegel“, erinnert an Armin Laschet: „Längst von anderen Eindrücken verdrängt, aber seine Bewerbungsrede um den CDU-Parteitag war ein echtes Kunststück, nicht nur wegen der Bergmannsmarke seines Vaters. Emotional, zugewandt, geschickt – hätte er mal im Wahlkampf so geredet.“ Auf Rang 2 folgt Greta Thunberg, wegen deren „Ansprache an die Gipfel-Teilnehmer in Österreich Anfang Juli, darunter Angela Merkel. Klarer kann man der in Sachen Klima untätigen Politik nicht den Spiegel vorhalten: ‚What you are doing is not about climate action or responding to an emergency. It never was. This is communication tactics disguised as politics’”. Eine Mutrede. Ob wir auch Thunberg bei der Preisvergabe wiedersehen werden?