Novak Djokovic ist auch nur ein Mensch

Als fast schon alles vorbei war, flossen bei Novak Djokovic die Tränen. Er versuchte sie hinter seinem Handtuch zu verbergen, aber es gelang ihm nicht. 4:6, 4:6 und 4:5 lag der beste Tennisspieler der Welt im Finale der US Open gegen den Russen Daniil Medwedew zurück. Der 34 Jahre alte Dominator seines Sports wusste, dass er dieses vielleicht wichtigste Match seiner Karriere nicht mehr gewinnen kann. Weil er an diesem Tag einmal nicht der Beste war, sondern geschlagen werden würde von einem Gegner, den er nur hätte besiegen können, wenn er selbst in Topform gewesen wäre. Fünf Minuten später herrschte Gewissheit, auch der dritte und schon letzte Satz war mit 6:4 an Medwedew gegangen.

„Ich hatte keine Beine. Ich habe es versucht. Mein Spiel war einfach nicht da“, gab Djokovic später zu. Tatsächlich hat man den Serben selten so hilflos über den Platz laufen sehen wie in diesem Endspiel, seinem 31. bei einem Grand-Slam- Turnier. Auf der anderen Seite spielte Medwedew nahezu perfekt, er schlug unglaublich auf, fand die richtige Balance zwischen Geduld und Aggressivität und war vor allem mental auf der Höhe.

Das galt für Djokovic diesmal nicht. Er wirkte seltsam gehemmt, fand nie seinen Rhythmus und hatte kein richtiges Zutrauen in sein Spiel. Im Angesicht der historischen Chance auf den Grand Slam, dem Gewinn aller vier großen Turniere im Tennis innerhalb eines Kalenderjahrs versagten ausgerechnet dem gemeinhin als nervenstärksten Spieler geltenden Djokovic tatsächlich die Nerven.

So kurz vor dem Ziel dann doch zu stolpern, ist an Bitterkeit kaum zu überbieten. Auch deswegen konnte er seine Emotionen irgendwann nicht mehr kontrollieren. Die Erfahrung, in einem solch wichtigen Moment nicht die beste Leistung auf den Platz gebracht zu haben, ist aber nur eine Seite der Erklärung. Djokovic gab bei der Siegerehrung die andere: „Ihr habt meine Seele berührt. Ich habe mich in New York noch nie so gefühlt“, sagte er da in Richtung New Yorker Publikum im vollbesetzten Arthur-Ashe-Stadium.

Die Zuschauer feierten Djokovic mit “Nole”-Sprechchören

Die Zuschauer hatten ihn mit „Nole“-Sprechchören immer wieder angefeuert und besungen, so viel Zuneigung ist dem impulsiven Belgrader längst nicht immer in seiner Karriere zu teil geworden. Gerade bei den US Open nicht. Womöglich hat Djokovic während des Matches einmal an das Finale von 2015 zurückgedacht, als die Fans seinen Gegner Roger Federer bedingungslos unterstützten und Djokovic fast schon feindselig begegnet waren. Damals hatte er trotzdem gewonnen, es allen gezeigt, dass er sich von nichts beeindrucken lässt.

Die Niederlage gegen Medwedew macht Djokovic ein Stück weit menschlicher. Vielleicht ist es für ihn sogar eine gänzlich neue Erfahrung, dass es nicht immer große Siege braucht, um sich Respekt zu verdienen. Den hat er bei seinen Gegnern schon länger, daran ließ der 25 Jahre alte Sieger aus Moskau keinen Zweifel: „Es tut mir leid für Novak, ich kann mir nicht vorstellen, was er fühlt“, sagte Medwedew nach seinem ersten Grand-Slam-Titel und fügte dann direkt zu Djokovic gewandt hinzu: „Ich habe das noch nie zu jemandem gesagt, aber ich sage es jetzt zu dir: Für mich bist du der größte Tennisspieler der Geschichte.“

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Rein statistisch ist er das noch nicht, mit Federer und Rafael Nadal liegt er weiterhin bei 20 Major-Erfolgen. Trotzdem spricht einiges dafür, dass Djokovic in diesem Triell siegen wird. Viele andere Rekorde stehen längst auf seiner Habenseite, eines aber dürfte wohl für immer unerreichbar bleiben: der Grand Slam.

Rod Laver, am Sonntag im Stadion Augenzeuge des Matches, gelang das Kunststück als einzigem Spieler zweimal, 1962 und 1969. Doch das waren andere Zeiten. Damals wurden drei der vier Turniere auf Rasen ausgetragen, heute braucht es noch mehr Allround-Talent. Dazu müssen Form, Gegner und Gesundheit mitspielen. Für Djokovic hat in diesem Jahr vieles gepasst. Federer und Nadal müssen ihrem Alter und ihren geschundenen Körpern mehr und mehr Tribut zollen und die nächste Generation war Djokovic bis zu den US Open psychisch oft regelrecht ausgeliefert.

Daniil Medwedew war nun als erster aus der jungen Garde bereit für einen Sieg gegen einen ganz Großen in einem Finale bei einem Grand-Slam-Turnier. Zu wissen, dass er Djokovic auf seinem Weg in die Geschichtsbücher aufgehalten habe, mache den Triumph für ihn noch süßer, sagte er nach dem Spiel. Da waren die Tränen bei seinem Gegner noch nicht gänzlich getrocknet. Er wird Zeit brauchen, diese Niederlage zu verarbeiten, denn die Chance auf den Grand Slam ist normalerweise einmalig. Selbst für einen wie Novak Djokovic.