Mit blauem Auge in die Wohlfühloase
Nach dem Spiel sah man das rechte Auge von Paul Drux bereits anschwellen. Die Stelle, an der ihn Sime Ivic im Zweikampf erwischt hatte, war noch einmal extra durch einen leuchtendrot hervortretenden Kratzer markiert. Es war eine der vielen Blessuren, die die Füchse aus dem Spiel gegen den SC DHfK Leipzig (30:25) davontrugen.
Von Beginn an war die Derby-Atmosphäre greifbar. Da schickte Mijajlo Marsenic den Leipziger Luca Witzke kurz nach Anpfiff schon mit einer blutigen Lippe zurück auf die Bank, rang Johan Koch mit seinem Gegenspieler auf dem Boden im Kampf um den Ball. Ohnehin erinnerte die Anfangsphase mehr an Griechisch-Römisch als an ein Handballspiel.
Dementsprechend war es auch nicht verwunderlich, dass sich das Schiedsrichtergespann Jannik Otto und Raphael Piper nicht lange mit gelben Karten aufhielt. Bereits nach zweieinhalb Spielminuten folgte der Griff in die Brusttasche, sah Berlins Valter Chrintz die Rote. Etwas unglücklich hatte der Rechtsaußen versucht, einen Gegenstoß zu unterbinden und musste anschließend vom Feld.
Abgesehen vom Körperlichen hatten die Berliner zunächst allerdings wenig zu bieten. Wie schon gegen Wetzlar wurden Probleme in Passgenauigkeit und Abstimmung durch einen zu langsamen Rückzug nach vergebenen Bällen noch potenziert, lief man stetig einem Rückstand hinterher. Das änderte sich jedoch nach der Pause, als die Mannschaft von Trainer Jaron Siewert ein vollkommen anderes Gesicht zeigte.
Im letzten Spiel gegen Melsungen wurde es handgreiflich
„In der ersten Halbzeit haben wir zu viele Fehler gemacht, zu viele Freie verworfen. Das haben wir in der zweiten Halbzeit viel besser umgesetzt. Da waren wir geduldiger und kompakter”, fasste es Spielmacher Fabian Wiede zusammen, der mit Jacob Holm den Grundstein für die Aufholjagd legte. Anstelle von grober Physis überwogen nun technische Finesse und Schnelligkeit am Ball, so dass sich aus drei Toren im Minus ein Fünf-Tore-Vorsprung entwickelte. Insgesamt 20 Tore warfen die Füchse in den zweiten 30 Minuten und sich damit zum Sieg.
Doch die zwei Punkte haben eine Menge Kraft gekostet. Kraft, die die Berliner bereits am Donnerstag bei der MT Melsungen (19.05 Uhr) dringend brauchen werden. Manch einer mag sich vielleicht noch an die letzte Begegnung der beiden Teams im Juni erinnern, als es auf dem Feld zu zahlreichen Rangeleien kam.
Vorangegangen waren dem Spiel die Aussagen von Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning, der Melsungen vorwarf eine „Wohlfühloase” zu sein, in der die vielen Nationalspieler – mit Silvio Heinevetter, Finn Lemke, Julius Kühn, Kai Häfner, Tobias Reichmann und Timo Kastening immerhin sechs an der Zahl – nicht ihr Leistungsoptimum erreichen würden und es der Mannschaft an Mentalität mangele. Gleichzeitig sprach Hanning von einer Gefahr für die DHB-Auswahl und deren positives Abschneiden bei den Olympischen Spielen.
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Knapp drei Monate später haben die Deutschen beim Turnier in Tokio nun wirklich enttäuscht und ihre ausgeschriebenen Medaillenträume verfehlt, wenngleich dafür sicherlich nicht nur die Teilnehmer der MT verantwortlich gemacht werden können. Ohnehin hatte man auf Melsunger Seite geunkt, dass Hanning nach einem „Sündenbock” für eine mögliche Olympia-Pleite gesucht habe.
Zusätzlich brisant war indes, dass der verbale Ausbruch Hannings nur Tage vor dem Spiel seiner Füchse bei den Nordhessen stattgefunden hatte. Die sportliche Antwort folgte prompt, mitsamt der eingeforderten Mentalität. „Die Geschichte ist vielleicht noch nicht im Ganzen ausgeräumt. Das wird spannend”, weiß Jaron Siewert und stellt seine Mannschaft derweil auf das nächste, kämpferisch anspruchsvolle Spiel ein.
Zumal die Melsunger den Kader noch einmal aufgerüstet haben. Mit Elvar Örn Jonsson vom dänischen Top-Klub Skjern, André Gomes aus Portugal und dem ehemaligen Fuchs Alexander Petersson hat der Verein im Rückraum an Breite gewonnen. Spannend wird derweil sein, wie es der MT gelingt, das durch den Abgang von Abwehrchef Felix Danner entstandene Loch in der Defensive in dieser Saison zu schließen. So oder so dürfte es ein harter Fight werden – hoffentlich ohne blaues Auge.