Stunde der Wahrheit für Alexander Zverev
Alexander Zverev wusste es schon vor den US Open: „Novak Djokovic ist der, den man schlagen muss“, hatte der Deutsche zum Turnierstart bei Eurosport erklärt. Nun ist diese Erkenntnis angesichts der Dominanz des Serben in diesem Jahr nicht unbedingt bahnbrechend, doch in der Nacht zu Samstag schlägt für Zverev jetzt tatsächlich die Stunde der Wahrheit. Denn der Olympiasieger trifft im Halbfinale auf den Weltranglistenersten und muss versuchen, seine Worte in die Tat umzusetzen.
Wie schwer das im Jahr 2021 ist, haben die bisherigen 26 Matches von Djokovic bei den Grand-Slam- Turnieren gezeigt. Der 34 Jahre alte Tennis-Dominator hat sie alle gewonnen, zwei weitere Siege und er schreibt einmal mehr Geschichte. Als erster Spieler seit Rod Laver 1969 hätte Djokovic damit den Grand Slam gewonnen – also Titel bei den Australian Open, Roland Garros, Wimbledon und den US Open in einem Jahr. Dazu wäre der Triumph in Flushing Meadows gleichbedeutend mit dem 21. Grand-Slam-Erfolg für ihn, Djokovic wäre damit alleiniger Rekordhalter.
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„Klar weiß ich, dass ich Geschichte schreiben kann. Das motiviert mich auch. Aber wenn ich zu viel darüber nachdenke, belastet es mich mental“, sagte Djokovic nach seinem Viertelfinalsieg in vier Sätzen gegen Matteo Berrettini aus Italien. Und dass auch der mental vielleicht stärkste Spieler in der Tennis-Historie durchaus einmal ins Grübeln kommen kann, weiß sein kommender Gegner ganz genau.
Denn bei den Olympischen Spielen in Tokio war es Alexander Zverev, der Djokovics Traum vom „Golden Slam“ platzen ließ und sich im Halbfinale nach klarem Rückstand noch durchsetzen konnte. „Ich war der erste Spieler, der ihn in diesem Jahr in einem wirklich großen Match geschlagen hat“, sagte Zverev nach seinem klaren Sieg im Viertelfinale gegen den Südafrikaner Lloyd Harris und fügte hinzu:. „Das macht etwas mit dir.“
Die große Frage vor dem neuerlichen Duell ist nun: Was macht es mit Djokovic? Er wird die letzte Niederlage – seine einzige in den vergangenen vier Monaten – nicht vergessen haben. Und er weiß, dass Zverev das Spiel und erst recht die Form hat, um ihn nochmals zu bezwingen. Bei den diesjährigen Australian Open war der Deutsche schon nah dran, verlor aber im Viertelfinale dann doch in vier Sätzen.
Damals fehlte Zverev in den entscheidenden Situationen noch die Überzeugung, das ist seit seinem Goldcoup in Tokio anders geworden. „Das ist das größte Sportereignis der Welt, das waren die Olympischen Spiele“, erklärte er jetzt noch einmal und fuhr fort. „Dort gegen die Nummer eins der Welt zu gewinnen, nachdem ich eigentlich schon raus war aus dem Match und dann noch zurückzukommen, war eine einzigartige Erfahrung und wirklich etwas ganz Besonderes für mich.“
Bisher wurde Zverev in New York kaum gefordert
Anschließend gewann Zverev auch noch das Masters-Turnier von Cincinnati und ist nun seit 16 Matches ungeschlagen. Die Voraussetzungen, jetzt endlich einmal einen ganz Großen bei einem Grand Slam zu schlagen, könnten folglich kaum besser sein. Und doch steht dort auf der anderen Seite des Netzes Novak Djokovic. „Gegen ihn musst du perfekt spielen, sonst kannst du nicht gewinnen“, erklärte Zverev, wohl wissend, dass „du die meiste Zeit gar nicht perfekt spielen kannst“. Deshalb würden so viele Gegner gegen Djokovic verlieren. „Du musst das Match selbst gewinnen und die Ballwechsel dominieren und dabei wenig Fehler machen“, weiß Zverev.
Bisher wurde er in New York kaum gefordert, hat auf der anderen Seite aber auch Kraft gespart. Mit seinem Service kann er selbst Djokovic entnerven, bei den US Open ist es bisher eine Bank für den 24 Jahre alten Hamburger. Im Halbfinale wird er wieder um die 70 Prozent seiner ersten Aufschläge brauchen, um selbst die Initiative ergreifen zu können. Auch die Länge seiner Grundschläge wird wichtig werden, in Tokio setzte er Djokovic mit präzisen Bällen an die Linien immer wieder unter Druck.
Bei Olympia allerdings wirkte der Serbe durchaus etwas müde, inzwischen ist er wieder auf Betriebstemperatur gekommen, auch wenn seine Auftritte in New York nicht immer souverän waren und er häufig nur langsam in die Matches fand. Am Ende aber war es dann doch wie immer: Djokovic hatte stets den längerem Atem und den größeren Willen.
Geheimnisse gibt es vor dem jetzt zehnten Duell gegeneinander keine mehr. „Ich kenne sein Spiel sehr gut“, bestätigte Djokovic und richtete den Fokus stattdessen auf einen anderen Aspekt des Spiels: „Es ist ein Halbfinale. Da geht es auch um Nerven“, sagte er. Und keiner hat bessere als er. Normalerweise. Alexander Zverev wird das testen wollen, schließlich wusste er schon vor dem Turnier, dass der Weg zum Titel bei den US Open nur über Novak Djokovic führt.