Neue Gesichter für das deutsche Kino
Dass die Siegerin des Abends nicht im Palais am Funkturm anwesend war, sondern per Videoschalte zuschaute, hatte ausnahmsweise nichts mit der Pandemie zu tun. Maria Schrader dreht gerade in New York die Adaption des Weinstein-Enthüllungsbuchs der „New York Times“-Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey. Also erlebte Schrader nur aus der Ferne, wie sie erst zusammen mit ihrem Partner Jan Schomburg die Lola für das Drehbuch von „Ich bin dein Mensch“ erhält, den Regiepreis – und am Ende der Zeremonie schließlich die Lola in Gold. Dazwischen wird noch ihre Hauptdarstellerin Maren Eggert geehrt, die auf der Berlinale bereits den Silbernen Bären gewann.
„Ich bin dein Mensch“ ist mit vier Lolas der Gewinner des Abends, angesichts der zehn Nominierungen für Dominik Grafs „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ unerwartet, aber nicht ganz unverdient. Dass die Filmakademie Maria Schraders bravouröses Stefan-Zweig-Biopic „Vor der Morgenröte“ von 2016 komplett ignorierte, gehört zu den kleinen Skandalen der jüngeren Lola-Geschichte. Ihre Tränen nach zähen dreieinhalb Stunden voll peinlicher Hip-Hop-Einlagen und selbstverliebter Laudatoren kamen von Herzen.
Auch weil man vermuten darf, dass die Preise nicht in erster Linie ihrer Roboter-Liebeskomödie gelten, sondern der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin selbst, die sich in den vergangenen Jahren auch international um das deutsche Kino verdient gemacht hat. Mit Akademiepreisen ist das eben so eine Sache, persönliche Sympathien spielen da eine nicht unerhebliche Rolle.
Womit keinesfalls Dominik Graf und sein entfesselter „Fabian“ geschmälert werden soll. Auch Gründungsmitglied Graf wurde in der Vergangenheit, insbesondre mit seiner inspirierten Schiller-Fantasie „Die geliebten Schwestern“, von der Akademie ignoriert. Alles sah danach aus, als könnte der Filmpreis 2021 seine große Nacht werden; am Ende reicht es immerhin für drei Auszeichnungen (Kamera, Schnitt und die Silberlola). Man muss jedoch konstatieren, dass die Filmakademie mit diesen Preisen zumindest ihr Verständnis für das etwas leidige deutsche Geschichtskino unter Beweis stellt. Dass der wild fabulierende, kolportagehaft-delirierende „Fabian“ in der Gunst der Mitglieder den Vorzug vor „Schachnovelle“ erhält, dürfte Graf, dem Verächter biederen Ausstattungskinos, etwas Genugtuung verschaffen.
Das Harmoniebedürfnis überwiegt in der Branche
Der 71. Deutsche Filmpreis war ein denkwürdiges Ereignis, siebzehn Monate nach der hoffentlich einmaligen Digitalzeremonie. 1200 Gäste in geschlossenen Räumen, hundertprozentige Auslastung des Auditoriums: nicht nur Akademie-Präsident Ulrich Matthes zeigt sich von dem Anblick überwältigt. Er dankt in seiner Begrüßung noch einmal ausdrücklich den Kinobetreibern und Verleihern für ihre Geduld und ihren Einsatz während der acht Monate im Lockdown. Das befürchtete Kinosterben blieb aus.
2021 war allerdings auch – selbst in der nach außen so harmonischen Filmbranche – das Jahr der Spaltung, Corona-Lügen und Verschwörungstheorien. Erst vor einigen Tagen ging das #allesdichtmachen-Sequel „Alles auf den Tisch“ von Volker Bruch und Miriam Stein online: diesmal nicht als vorgebliche Satire, sondern unverhohlen dumm und gefährlich. Matthes appelliert, ohne Namen zu nennen, an den Zusammenhalt der Branche in dieser schwierigen Zeit. Man könnte allerdings auch eine klare Haltung gegenüber Spaltern und Corona-Leugnern zeigen, indem man den Filmpreis als strikten 2G-Event organisiert. So grenzt das Harmoniebedürfnis an Selbstverleugnung.
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Unter dem präpubertären Motto „Kino ist geil“ feiert der deutsche Film seine Rückkehr. Das aufdringliche Ranwanzen an eine falsch verstandene Jugendkultur ist bisweilen zwar zum Fremdschämen, aber man muss zumindest anerkennen, dass das Thema Diversität für die Filmakademie inzwischen mehr als bloß ein Lippenbekenntnis ist. Knapp die Hälfte der Auszeichnungen geht an Frauen, als beste Nebendarstellerin wurde die Newcomerin Lorna Ishema aus der Komödie „Ivie wie Ivie“ ausgezeichnet, für seine Tongestaltung in „A Symphony of Noise“ erhielt Pascal Capitolin die Lola. Auch der Dokumentarfilm ist mit „Herr Bachmann und seine Klasse“ und eben „A Symphony of Noise“ gut vertreten.
Bei aller verständlichen Freude über das eigene Überleben sollte jedoch nicht übersehen werden, dass der deutsche Film international seit „Toni Erdmann“ wieder ins Hintertreffen geraten ist. „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz schaffte es in den Venedig-Wettbewerb, Oskar Roehler erhielt beim ausgefallenen Cannes-Festival ein Palmensiegel für „Enfant Terrible“ (Oliver Masucci gewinnt für seinen Rampensau-Fassbinder die Lola). Aber Veranstaltungen wie der Filmpreis täuschen über die anhaltende Krise hinweg. Deutsche Talente sind international gefragter denn je (Maria Schrader, Nora Fingscheidt, Julia von Heinz), aber der deutsche Film spielt auf den großen Festivals schön länger nur eine Nebenrolle.
Die Siegerfilme des Abends – „Ich bin dein Mensch“, „Fabian“, „Herr Bachmann und seine Klasse“, „Tides“ (auch „Je suis Karl“, der leer ausging) – liefen allesamt auf der Berlinale, inzwischen das Biotop des deutschen Kinos. Monika Grütters lässt sich bei ihrem vermutlich letzten Auftritt als Staatsministerin für Kultur noch einmal für ihr „Neustart“-Programm feiern, aber das Dilemma des deutschen Films hat auch sie in acht Jahren nicht lösen können. Vielleicht ist ihrer Nachfolgerin ja mehr Glück beschieden. Besser wäre natürlich, wenn auch der Branche langsam mal was einfallen würde.