Die Spiele für mehr Respekt und Anerkennung können beginnen
Am kommenden Sonntag ist es ausnahmsweise mal nicht der 1. FC Union, der für Emotionen im Stadion An der Alten Försterei sorgt. Ab 19.30 Uhr startet in Köpenick die Eröffnungsveranstaltung der Nationalen Spiele Special Olympics 2022. Zusammen mit den Besucherinnen und Besuchern im Köpenicker Stadion feiern 4000 Athlet*innen, dass sie Gelegenheit haben, bis zum 24. Juni wieder gemeinsam Sport zu treiben, sich zu treffen und auch sich für die Weltspiele der Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung 2023 in Berlin zu qualifizieren.
Kanutin Juliana Rößler kann das Sportfest kaum erwarten. „Ich muss zugeben, dass ich kaum noch schlafen kann. Meine Mutter und viele Zuschauer werden bei den Spielen dabei sein und ich bin überzeugt davon, dass wir eine tolle Eröffnungsfeier haben werden. Ich fühle mich total wohl, wenn ich daran denke“, sagte die Anhängerin des 1. FC Union bei der Pressekonferenz in der Dachlounge des rbb, der das Event medial umfassend begleitet. Eine Dolmetscherin für Gebärdensprache begleitete die Veranstaltung.
Rößler ist auch eine von mehreren Athlet*innen einer liebevoll und intelligent gestalteten RBB-Reportage, die am kommenden Sonnabend um 17.20 Uhr ausgestrahlt wird. Der Film gibt nicht nur tiefe Einblicke, wie sich die Sportlerinnen und Sportler auf ihre Wettkämpfe vorbereiten und mit welchen alltäglichen Problemen sie als Menschen mit geistiger Behinderung zu kämpfen haben. Schwimmer Silvio Wünsche etwa sagt: „Im Wasser habe ich mit viel weniger Barrieren zu kämpfen als an Land.“
Demonstration für mehr Anerkennung
Die Nationalen Spiele gehen bewusst weit über die sportlichen Wettkämpfe hinaus. Sie sollen auch eine Demonstration für mehr Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung sein. „Immer ein Außenseiter zu sein, ist nicht schön“, sagt Juliana Rößler. „Und es fühlt sich auch nicht gut an, immer angestarrt zu werden. Mir wäre es viel lieber, wenn die Leute mich fragen würden.“ Sie und die anderen Sportler*innen hoffen, dass die Spiele helfen werden, die Wahrnehmung etwas zu verändern. „Wir sind hier nicht bei den Paralympics, das ist für Menschen mit körperlichen Behinderungen“, räumt Silvio Wünsche in der Dokumentation mit einem häufigen Missverständnis auf.
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Im Gegensatz zu den Paralympics, die ja traditionell wenige Tage nach den Olympischen Spielen ausgetragen werden, finden die Welt-Wettkämpfe für Menschen mit geistiger Behinderung zwar auch alle vier Jahre, aber geografisch völlig losgelöst statt. „Auf die Zahl der Teilnehmenden bezogen, haben wir es mit einer der größten Sportveranstaltungen der Welt zu tun“, sagt Sven Albrecht, der Geschäftsführer des Organisationskomitees Special Olympics World Games Berlin 2023. Passend zu der Anmerkung von Schwimmer Silvio Wünsche, der auf die täglichen Barrieren im Alltag aufmerksam machte, gab es für Albrecht wegen der Fahrrad-Sternfahrt am Sonntag kein Durchkommen und er erreichte die Veranstaltung im Westend erst deutlich verspätet.
Bei den Special Olympics im kommenden Jahr werden wohl 192 Nationen in Berlin vertreten sein, die stellen werden insgesamt rund 10.000 Teilnehmer*innen stellen. „Natürlich ist es unser Anspruch, Wettkämpfe auf allerhöchstem Niveau und entsprechenden Wettkampfstätten auszurichten.“ Die Nationalen Spielen jetzt sollen dafür die Generalprobe sein.
Wettkämpfe in 20 Sportarten
In 20 Sportarten werden die Teilnehmer*innen der Nationalen Spiele starten. Die Austragungsorte verteilen sich quer über die Stadt, vom Olympiapark bis zur Regattastrecke in Grünau. Die Golf-Wettkämpfe finden im brandenburgischen Bad Saarow statt. Ungewöhnlich ist mit Sicherheit die Bowling World neben der East Side Gallery in Friedrichshain.
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Neben vielen klassischen olympischen Wettkämpfen gehören eben auch Disziplinen wie Bowling, Boccia, Kraftdreikampf oder Roller Skating zum Special-Olympics-Programm. „Gerade beim Boccia können auch Menschen mit starken geistigen Beeinträchtigungen zum Zug kommen“, sagt Albrecht, der aber darauf verweist, dass zum Beispiel beim Geräteturnen Sportler*inne mit Down-Syndrom schwindelerregende Übungen vollziehen können.
Es sei nicht Sinn der Wettkämpfe, die Behinderungen ins Zentrum zu rücken. Sondern es geht für Albrecht viel mehr darum zu zeigen, „zu welche außergewöhnlichen Leistungen die Teilmehmer*innen in der Lage sind.“ Im Zentrum gehe es um drei Dinge: gesehen, gehört und respektiert zu werden. Alles, was im Alltag oft zu kurz kommt.