35 Jahre Milli Vanilli: Zwischen Betrug und Best-of-Album
Wenn Fabrice Morvan heute gefragt wird, ob er vielleicht etwas anders machen würde, wenn er die Chance dazu hätte, dann nennt er zwei Dinge: seinen Freund Rob von dessen Suchtkrankheit befreien – und selbst singen. Morvan ist heute 57 Jahre alt, Vater von vier Kindern und er war mal ein Superstar.
Als „Fab“ und als Teil des Duos Milli Vanilli verkaufte er Millionen von Platten, trat vor Menschenmassen auf, begeisterte Fans in den USA und gewann einen Grammy – zumindest vorübergehend. Denn 1990, nur wenige Jahre, nachdem Boney-M.-Produzent Frank Farian in München auf die gut aussehenden Clubtänzer Fab und dessen Jugendfreund Robert „Rob“ Pilatus aufmerksam geworden war, war der Traum von der großen Karriere ausgeträumt, zerplatzt und der Ruf der beiden Freunde ruiniert.
Wir wurden den Wölfen vorgeworfen.
Fabrice Morvan vom Duo Milli Vanilli
Nachdem bekannt geworden war, dass sie ihre Hits wie „Girl You Know It’s True“ oder „I’m Gonna Miss You“ nie selbst gesungen, sondern die Lippen nur zu den Stimmen anderer bewegt hatten, ging ein Aufschrei durch die Musikwelt. Der Skandal um die Band gilt als einer der größten Betrugsskandale in der Musikgeschichte.
„Wir wurden den Wölfen vorgeworfen. Wir waren gewissermaßen die Sündenböcke, und alle anderen haben sich vor ihrer Verantwortung gedrückt“, sagt Morvan heute im Interview.
„Als die Geschichte rauskam, haben alle ihren Mund gehalten – und konnten einfach weitermachen. Sie konnten die College-Gebühren für ihre Kinder bezahlen, ihre Hypotheken und sie sind die Karriereleiter hochgeklettert, weil sie mit einem sehr, sehr erfolgreichen Projekt verbunden waren. Aber Rob und Fab? Die wurden einfach vergessen, und man hat schlecht über sie geredet. Sie wurden zur Pointe, sie wurden nicht mehr respektiert.“
Aber die Leute, die mit ihnen gearbeitet haben, müssen Bescheid gewusst haben, meint Morvan heute. Farian, der Produzent, der andere singen und die beiden Jungs tanzen ließ, als Initiator sowieso. Aber auch Plattenfirma und Management in den USA, wo man nach Bekanntwerden des Skandals besonders hart mit den beiden jungen Männern ins Gericht gegangen sei.
„Ich habe heute noch einen Akzent, ich bin kein Amerikaner. Das ist offensichtlich. Und damals hatte ich ganz sicher einen französischen Akzent und Rob hatte einen bayerischen Akzent, was sogar noch krasser ist. Als wir damals in New York City landeten und uns mit den Führungsleuten zusammengesetzt haben, wussten sie Bescheid“, so die Einschätzung Morvans.
Dass das damals niemand hinterfragte – auch in den Medien nicht – das wundere ihn heute noch, sagt Morvan. „Wir haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen“, sagte sein Freund Rob bei der viel beachteten Pressekonferenz des Duos nach Bekanntwerden des Skandals – wohl auch in Anlehnung an das ebenfalls nicht von ihnen gesungene Lied „Dance With The Devil“.
Morvan spricht heute von einer Liebe der Fans, Anerkennung und Aufmerksamkeit, nach denen beide junge Männer süchtig wurden, weil sie daheim nicht viel davon erfahren hatten.
Die Geschichte kommt mit Matthias Schweighöfer ins Kino
Zum 35. Gründungs-Jahrestag der Band bringt Sony an diesem Freitag ein Best-of-Album heraus, außerdem kommt im Dezember der Film „Girl You Know It’s True“ von Regisseur Simon Verhoeven ins Kino – mit Matthias Schweighöfer als Frank Farian.
Morvan arbeitet inzwischen als Sänger und Songschreiber. Sein Freund Rob wurde nur 33 Jahre alt. Er starb 1998 und wurde auf dem Waldfriedhof in seiner Heimatstadt München beigesetzt.
„Ich denke, dass ich immer wusste, dass das nicht ewig halten wird. Rob auf der anderen Seite war völlig verwirrt über das, was um uns herum vorging. Er war älter als ich, und er schien diese Sätze und Lügen verinnerlicht zu haben. Er war wie ein Schwamm und hat das alles tiefer aufgesaugt. Und ich saß daneben und dachte: Oh, mein Gott, dies alles bleibt uns vielleicht nicht lange. Das war der Unterschied. Wegen seiner Abhängigkeit hat er das alles viel intensiver aufgenommen und sich darin verloren“, sagt Morvan.
„Es gab hier kein wirkliches Verbrechen, aber es hat ein Leben gekostet“, heißt es in einer Dokumentation des Streaming-Dienstes Paramount, die die Hintergründe des Skandals mehr als drei Jahrzehnte danach kritisch hinterfragt. Morvan sagt dazu: „Es ist nunmal so, dass die Wahrheit die Treppe nehmen muss, während die Lügen Aufzug fahren.“