Besuch am Serienset von „Public Affairs“: Verliebte Lobbyisten
Auf diese Frage ist der Reporter dieses Beitrags nicht vorbereitet: „Bist du einer der Komparsen?“, will eine Mitarbeiterin des Drehteams der Sky-Serie „Public Affairs“ wissen, als er sein Fahrrad an der Rückseite des Paul-Löbe-Hauses direkt neben dem dort aufgestellten Equipment abstellen will.
Die Frage hat durchaus ihre Berechtigung, wie sich herausstellen wird. Fahrräder und E-Scooter spielen bei den Dreharbeiten zu der achtteiligen Dramedy-Serie im Herzen der Berliner Politik an diesem Tag Ende Juli eine besondere Rolle.
In Berlin wird immer irgendwo ein Film oder eine Serie gedreht. Was also macht „Public Affairs“ interessant für einen Setbesuch? Zunächst einmal das Thema. Die Serie „blickt hinter die Kulissen des verwobenen Machtapparates der Berliner Politik und des Lobbyismus“, bewirbt Sky die Produktion, die voraussichtlich im Frühjahr 2024 ins Programm von Sky und Wow kommt.
Im Zentrum stehen zwei Lobbyisten, von denen es in Berlin 6000 geben soll. Max Lentor, dargestellt von Helgi Schmid, ist der Platzhirsch auf dem Berliner Politik-Parkett. Er muss sich gegen seine neue Konkurrentin Valerie Hazard beweisen. Die von Nilam Farooq gespielte Frau hat gerade die EU-Lobbyarbeit in Brüssel gegen Berlin eingetauscht.
Der Platzhirsch und die Konkurrentin
Nilam Farooq ist den Fernsehzuschauern unter anderem als Kommissarin in der Serie „Soko Leipzig“, aus „Tatort“- und „Polizeiruf 110“-Auftritten sowie Sönke Wortmanns Film „Contra“ bekannt, in dem sie neben Christoph Maria Herbst spielte. Auch als Youtuberin mit dem Kanal „daarum“ hat sie sich einen Namen gemacht.
Helgi Schmid gehörte lange zum festen Ensemble des Theaters in Freiburg sowie dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Im Fernsehen war er in diversen Krimis von „Tatort“ über „Helen Dorn“ und „München Mord“ bis zum „Polizeiruf 110“ zu sehen. Zudem spielte er in allen vier Staffeln der ZDF-Krimiserie „Professor T.“ den Kommissar Daniel Winter.
Es ist schade für die Mitarbeitenden, die womöglich ihre Jobs verlieren. Aber grundsätzlich geht für mich unsere Arbeit hier weiter.
Schauspielerin Nilam Farooq über das Ende der deutschen Sky-Originals.
„Public Affairs“ hat indes noch eine andere Besonderheit. Vor einigen Wochen hat Sky angekündigt, in Deutschland keine Filme und Serien mehr selbst produzieren zu wollen. Die Dramedy mit Nilam Farooq und Helgi Schmid könnte somit die Serie werden, mit der der Pay-TV-Sender nach „Babylon Berlin“, „Das Boot“ und „Der Pass“ einen Schlussstrich unter dieses eigentlich recht erfolgreiche Kapitel zieht.
Für die beiden Hauptdarsteller von „Public Affairs“ spielt das bei den dreimonatigen Dreharbeiten keine Rolle. „Für mich am Set ist es nicht relevant, wofür produziert wird“, sagt Nilam Farooq. „Es ist schade für die Mitarbeitenden, die womöglich ihre Jobs verlieren. Aber grundsätzlich geht für mich unsere Arbeit hier weiter. Und ich bin mir sicher, dass wir etwas so Gutes machen, das seinen Platz finden wird. Wo auch immer.“ Helgi Schmid sieht es ähnlich. Auf das Ende der deutschen Sky-Originals angesprochen, sagt er: „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, weil wir gerade mitten in den Dreharbeiten stecken und die sind großartig.“
Die Location-Scouts von „Public Affairs” waren tatsächlich fleißig. Helgi Schmid beeindrucken die Dreharbeiten „an den absurdesten Orten“, wie er sagt. „Nicht nur in Restaurants in Bundestagsnähe werden die Anliegen unserer Kunden dem politischen Personal nähergebracht, sondern auch im Schwimmbad, auf Fernsehstudiotoiletten, bei der Chorprobe, auf dem Rugby-Feld, beim Rudern auf dem Landwehrkanal. Alles, um zu überzeugen.“
Dabei haben die Lobbyisten das Parlament fest im Blick. „Sich mitten im Take umzudrehen und auf den Reichstag zu blicken, verliert nie an Reiz. Es ändert durchaus etwas, wenn man am Ort des Geschehens dreht und nicht in einem Studio“, findet Helgi Schmid.
Warum ist mein Scooter immer langsamer?
Schauspieler Helgi Schmid hat erkennbar Spaß bei den Dreharbeiten zu „Public Affairs“.
Auch dieser Drehtag, der immer wieder von kleinen Schauern unterbrochen wird, hält tolle Kulissen bereit. Die Ernsthaftigkeit der Themen zwischen Umweltschutz und Braunkohletagebau in der Lausitz wird durch die sich anbahnende Beziehung zwischen Valerie und Max aufgelockert, die sich an diesem Tag auf ihren E-Scootern näherkommen.
Die beiden fahren über den Marie-Elisabeth-Lüders-Steg zwischen dem Paul-Löbe-Haus und den anderen Parlamentsneubauten auf der anderen Spreeseite. Vor ihnen eine sogenannte Kamerarikscha. Das Elektromobil mit angebauter Kamera erinnert ein wenig an das erste Mondfahrzeug. Der Fernsehturm gibt dabei den perfekten Hintergrund ab.
Noch hält Valerie in dieser Szene Max auf Abstand. „Nur weil wir zusammenarbeiten, heißt das noch lange nicht, dass wir Freunde sind“, sagt sie ihm, als er mit seinem Tretroller zu ihr aufschließt. „Wer braucht denn schon Freunde?“, erwidert er und ergänzt. „Zum Glück sind sie ja jetzt da. Und wer weiß, wohin das führt.“. Doch so leicht macht es die Lobbyistin ihrem beruflichen Konkurrenten nicht. Als er sie daran erinnert, dass eine Einstweilige Verfügung gegen das weitere Abbaggern im Braunkohlerevier gekippt wurde, sagt sie schlagfertig. „Nee, ich vergesse nichts. Außer mich baggert jemand plump an.“
Auch als die Klappe gefallen ist, behalten die beiden Schauspieler den flapsigen Ton der Dialoge bei. „Warum ist mein Scooter immer langsamer als deiner?“, meckert Helgi. „Weil du nicht so agil bist“, bekommt er als Antwort mit auf den Weg zum nächsten Take. Denn auch diese Einstellung muss an diesem Tag ein ums andere Mal wiederholt werden, bis Matthias Koßmehl, der zusammen mit Wolfgang Groos Regie führt, zufrieden ist.
Dass Valerie eine andere Szene mit Blick auf den Hauptbahnhof neun Mal drehen musste, ist für sie normal. „Alles muss stimmen. Außerdem: Es ist doch schön hier.“ Mal drängelt sich ein Radfahrer in die Szene, mal muss die Schärfe nachgezogen werden. Immer wieder müssen die Komparsen zurück an die Ausgangsposition.
Nilam Farooq genießt die Dreharbeiten in Berlin. „Weil ich die vergangenen acht Jahre nicht in Berlin gedreht habe, ist es für mich ein Traum, der wahr geworden ist. Ich bin ja selbst Berlinerin. Es ist schön, die Stadt aus einer anderen Perspektiven zu sehen. Aber woanders zu sein, hat auch Vorteile.“
Abgeklärt: Die Berliner sind es ohnehin gewohnt, dass ständig gedreht wird
Derweil läuft das Berliner Leben zwischen Bundeskanzleramt, Reichstag und Hauptbahnhof gewohnt trubelig weiter. Ab und an muss einer der Security-Mitarbeiter unaufmerksame Fußgänger bitten, nicht direkt durchs Set zu laufen. Insgesamt nimmt jedoch kaum jemand größere Notiz von den Dreharbeiten. Weder die Touristen noch die Einheimischen. Sie sind es ohnehin gewohnt, dass hier gedreht wird.
Das Thema der Serie ist indes keine leichte Kost. Ohnehin haben viele Menschen in Deutschland ein gespanntes Verhältnis zur Politik. Also warum sollte man sich „Public Affairs“ dennoch anschauen? „Erstens, weil es unterhaltsam wird. Zweitens, weil wir die Politik durchaus aufs Korn nehmen, gleichzeitig aber viel Wahrheit in der Serie steckt“, meint Helgi Schmid. Er hofft, dass die Mischung aus Drama und Comedy dabei hilft, „einen anderen Blick auf die Politik zu werfen“.
Für Nilam Farooq hat es einen gewissen Lerneffekt. „Vor der Serie hätte gar nicht genau sagen können, was so ein Lobbyist macht. Nun weiß ich: Da spielen Taktik und Psychologie mit rein. Es geht darum, wie sich Menschen verhalten und über welche Leichen sie gehen. Das zeigt unsere Serie ganz toll.“
Helgi Schmid hatte zuvor „nur dieses negativ geprägte Bild von Lobbyismus. Inzwischen weiß ich, dass es Lobbyisten durchaus braucht.“ Konkret arbeitet seine Figur Max für eine Lobbyagentur, die bei ihren Kunden nicht wählerisch ist. „Bei uns ist morgens eine Organisation im Büro, die dem BUND nachempfunden ist. Und abends arbeite ich für die Braunkohleindustrie. Ich wusste vorher nicht, dass es so etwas gibt.“
Nilam Farooq hat ihre Meinung über Lobbyisten indes nicht geändert. „Das ist wie bei Anwälten. Es gibt gute und schlechte. Und genauso ist es bei Lobbyisten. Ich könnte inzwischen taktische Schritte erkennen, die ich vorher nicht gesehen habe. Oder zumindest vermuten. Das gilt auch für die Moral.“ Ihre Figur Valerie mag sie trotzdem. „Ich finde sie tough, bewundernswert und fasziniert. Aber wäre ich gerne wie sie? Nee!“
Und Helgi, wie sieht er seinen Max? „Er ist sehr smart, schnell, erfolgsorientiert, gut organisiert und ein Arbeitstier. Er tanzt auf allen Hochzeiten gleichzeitig und weiß seine Ellenbogen einzusetzen.“ Entsprechend treffen mit Max und Valerie zwei Alphatiere aufeinander und der Zuschauer kann sich hoffentlich daran erfreuen.
Die Komparsen mit ihren Kinderwagen und Fahrrädern müssen derweil weiter ihre Runden drehen, auch nachdem sich der Reporter längst verabschiedet hat.