Philharmoniker in der Waldbühne: Das Lächeln einer Sommernacht
Die gute Nachricht zuerst: Zum Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker dürfen wieder Picknicktaschen mitgebracht werden. Ganz kleine zwar nur – „maximal 40 x 40 x 35 cm“ heißt es streng in den Einlassbedingungen -, aber für eine bescheidene Selbstverköstigung reicht es. Und es kommen süße Erinnerungen auf an die Tage, als der Open-Air-Saisonabschluss des Orchesters ein dreifaches Fest der Sinne war: Klang, Kulisse und Kulinarik.
Wenn die Nacht über dem 22 000 Plätze-Halbrund herabgesunken war, wurden – unvorstellbar nach heutigen Sicherheitsmaßstäben – Kerzen angezündet und Feuerzeuge geschwenkt. Am Samstag, bei herrlichstem Frühsommerwetter, erzeugen Handy-Displays das obligatorische Lichtermeer zur „Berliner Luft“-Zugabe. Auch schön.
Anspruchsvolles Programm
Die schlechte Nachricht betrifft nicht das Orchester, wohl aber die Location: Just am Tag des Philharmoniker-Happenings muss der private Veranstalter „Semmel Concerts“ zerknirscht mitteilen, dass die Disney-Hommage, die Starpianist Lang Lang am 22. Juli hier feiern wollte, verschoben wird. Aus „produktionstechnischen Gründen“.
Eine typische Nachtigall-Ick-Hör-Dir-Trapsen-Formulierung. Es ist natürlich reine Spekulation, aber könnte es vielleicht sein, dass im Vorverkauf nicht genug Fans zugegriffen haben? Obwohl sich eine kommerziellere Kombination kaum denken lässt als der weltweit bekannteste Klassikkünstler und das Familienfilm-Imperium. Über Hindernisse bei der Durchführung von Lang Langs Disney-Konzerten am Samstag in Paris sowie am 3. Juli in Madrid ist jedenfalls nichts bekannt.
Die Berliner Philharmoniker dagegen können aufs Programm setzen, was sie wollen, ihre Waldbühnen-Sause lockt die Massen an. Beim Spielzeitfinale erklingt diesmal bedeutungsschwere deutsche Romantik, Carl Maria von Webers teuflischer „Freischütz“, Richard Wagners übersinnlicher „Lohengrin“ und gleich fünf Schaustücke von Richard Strauss. Populäre Klassik geht anders. Und doch ist der Abend ausverkauft.
Mischpult-Meisterleistung
Was fürs hauptstädtische Publikum spricht. Aber auch die Tontechnik vor höchste Anforderungen stellt. Denn diese komplexen Partituren mit ihrer detailreich gearbeiteten Instrumentation brauchen ein exzellentes Sounddesign, um auch unter freiem Himmel ihre Wirkung voll zu entfalten.
Und tatsächlich gelingt am Samstag eine Mischpult-Meisterleistung: Die einzelnen musikalischen Linien haben Kontur, traumschön entfalten sich die Klarinette von Wenzel Fuchs und Albrecht Mayers Oboe. Das Zusammenspiel hat akustische Tiefe, der künstlich erzeugt Hall ist süffig, geht aber nie auf Kosten der Brillanz. Bravo.
Faszinierendes Tenor-Timbre
Was in der Philharmonie nur die Leute auf den billigen Plätzen sehen, ermöglichen in der Waldbühne die beiden Leinwände links und rechts der Zeltdach-Bühne: nämlich dem Dirigenten ins Gesicht zu schauen. Großartig, wie Andris Nelsons in der „Freischütz“-Ouvertüre nach dem düster-dräuenden Beginn mit einem Taktstock-Zucken das Jubelfinale auslöst. Hier wird die ungeheure Musikalität des Dirigenten sichtbar. Unter seinen Händen entfalten sich alle Stücke des Abends absolut organisch, gerade auch die funkelnde „Till Eulenspiegel“-Tondichtung von Richard Strauss und seine „Rosenkavalier“-Suite.
Klaus Florian Vogt fasziniert einmal mehr mit seinem jünglingshaften Tenor-Timbre, singt einen unschuldigen „Freischütz“-Max, einen Lohengrin, der nicht von dieser Welt sein kann, und drei Lieder von Richard Strauss, denen er die Aura der Kostbarkeit verleiht.
Als Zugabe gibt’s schließlich noch eine Strauss-Miniatur, das zartgliedrig-sentimentale „Und morgen wird die Sonne wieder scheinen“. Mutig, eine derart intime Nummer für die Waldbühne auszuwählen. Aber so sind die Philharmoniker. Stets gleichermaßen ernsthaft bei der Sache, ob sie nun im akustischen Schutzraum ihres Stammhauses agieren oder draußen vor einer Mega-Kulisse.
Und dann folgt – same procedure as every year – die „Berliner Luft“, begeistert pfeifend von allen Rängen unterstützt.