Haus der Kulturen der Welt: Die Kraft des Quilombismo
Sprache ist ein Machtinstrument. Es zeigt sich in der Auseinandersetzung und auch Irritation über gendergerechte Ausdrucksformen im Alltag gerade jetzt. Wer bezeichnet, bestimmt: Das gehört zur Geschichte des Kolonialismus und zum Kampf um die eigene Identität. Sprache ist auch ein Spiel.
Drei Fahnen wehen über dem Haus der Kulturen der Welt neben dem Kanzleramt. Der nigerianisch-amerikanische Künstler Olo Oguibe, auf der Documenta 2017 mit dem Arnold-Bode-Preis ausgezeichnet, hat sich die neue Beflaggung in Schwarz, Rot, Gold und Grün ausgedacht. Da ist alles drin, vor allem Ironie. DDR steht dort in Großbuchstaben. Dekarbonisieren, Dekolonisieren, Reparieren. Und Restitutieren. So formulieren inzwischen die meisten Kulturinstitutionen ihr Programm, nicht nur das HKW mit seinem neuen Kopf Bonaventure Soh Bejeng Ndikung.
Sprache schafft spezifische Räume. Dafür hat der (internationale) Kulturbetrieb eine eigentümliche, hermetische Diktion entwickelt, vulgo: Kurator:innensprech. Oftmals kann man sich des Gefühls nicht erwehren, hier sei schon KI am Werk, so abstrakt und unnahbar können solche Texte wirken, ob sie sich nun auf Theater, Bildende Kunst oder Tanz beziehen. Das HKW bietet dafür breiten Raum. So trägt die erste große Ausstellung unter Bonaventures Ägide den Titel: „O Quilombismo. Von Widerstand und Beharren. Von Flucht als Angriff. Von alternativen demokratisch-egalitären politischen Philosophien“.
Das ist viel. Und auch des Guten zu viel. Da werden irgendwie auch schon wieder Zäune gebaut. In den Ausstellungsräumen wird auf Beschriftung verzichtet. Die Arbeiten hängen ohne Namen. Die Informationen können über einen QR-Code bezogen werden. Oder man hat ein Begleitbuch. Dort ist zu lesen, worum es geht: um eine Bühne, „die die Faktoren race, Wirtschaft, Geschlecht, Gender, Gesellschaft, Religion, Politik, Justiz, Bildung und Kultur berücksichtigt“ und, so schließt Bonaventures Einführung, „alle Ausdrucksformen des gesellschaftlichen Lebens sowie alle Ebenen der Macht in öffentlichen und privaten Institutionen einbezieht.“
Das sind umfassende, wenn nicht totalitäre Ansprüche, die jedes Kunstwerk erdrücken und fast schon ein wenig inquisitorisch befragen. Es sind gleichzeitig deutliche Signale, die hier ausgesendet werden. Das HKW sieht sich auf der Seite der Guten.
Glücklicherweise zeigt sich die Kunst in der Ausstellung dann auch so, wie es von ihr erwartet wird: Sie leistet Widerstand, lässt sich nicht ohne Weiteres einordnen. Sie wirkt fremd und rätselhaft, faszinierend, vielleicht auch erst einmal abweisend, einladend und opak zugleich. „O Quilombismo“ verteilt sich über fast alle Räume des HKW, auch auf die Außenflächen, sie macht einen sinnlichen Eindruck. Und dabei besitzt das Haus der Kulturen der Welt nicht die besten Voraussetzungen für die Präsentation von Ausstellungen.
Kommen, um zu lernen
Vor gut dreißig Jahren, als das HKW noch eine ganz junge und unsicher agierende Einrichtung war, gab es dort eine kleine Schau mit Bildern des australischen Künstlers Jimmy Pike. Damals war das Interesse an der Kunst der Aborigines hierzulande noch frisch. Und erst im vergangenen Jahr war im Humboldt Forum mit den „Sieben Schwestern“ eine großartige, indigen kuratierte Ausstellung zu sehen. Man kommt auch, um zu lernen.
Und so ist es jetzt hier. Auch wenn „O Quilombismo“ es den Besuchern nicht leicht macht. Der zugrunde liegende Begriff Quilombo stammt aus der portugiesischen Kolonialsprache und bezog sich ursprünglich wohl auf Schwarze Menschen, die sich aus der Versklavung befreit und im Nordosten Brasiliens eine unabhängige Lebensform begründet hatten. Beschrieben ist damit auch eine Utopie. Dieses Wissen muss man mitbringen oder sich draufpacken. Das HKW hatte schon immer einen starken didaktischen Impuls.
„In einem solchen System unterscheiden sich die Produktionsverhältnisse grundlegend von denen des Kapitalismus“, schrieb Abdias Nascimento. Im Quilombismo sah der 2011 verstorbene brasilianische Künstler, Politiker, Theatermann und Visionär „alle wesentlichen wirtschaftlichen Faktoren und Komponenten im kollektiven Besitz.“ Und Arbeit sollte keine „Bestrafung, Unterdrückung und Ausbeutung“ sein, sondern eine „Form der menschlichen Befreiung.“
Kein Universum. Ein Pluriversum
Nach den Erfahrungen mit dem realen Sozialismus mag das manch einer hierzulande anders sehen. Aber die Welt ist größer. Kein Universum, vielmehr ein Pluriversum, wie Bonaventure es gern ausdrückt. Das vermitteln die Künstlerinnen und Künstler in der großen Ausstellungshalle.
Bernardo Oyarzún hat im Auftrag des HKW eine große Skulptur aus Pappmaché gebaut, „Piwuchen“ genannt, eine Schlange mit Hahnenkopf, die Karneval und Widerstandskampf symbolsieren kann. Oyarzún gehört der indigenen Mapuche-Kultur an und lebt in Chile. Aus dem peruanischen Amazonasgebiet kommt Celia Vasquez Yui. Sie zeigt „The Council of the Mother Spirits of the Animals“, Tiergeister in Gestalt von Jaguar, Schlange, Krokodil aus Ton.
Auch die in Berlin und Windhoek, Namibia, lebende Künstlerin Tuli Mekondjo zeigt eine Auftragsarbeit zur Wiedereröffnung des HKW. Sie beschäftigt sich mit Fruchtbarkeitspuppen, einer verlorenen Tradition ihrer Community. Truong Cong Tung aus Vietnam findet eine Verbindung zur Natur und Spiritualität auf ganz andere Art. Seine „Blind Map“ ist sechs Meter lang und ein Meter fünfzig breit, heraghängend von der Decke, eine von Termiten zerfressene Leinwand. Man kann nicht anders, als darin die ästhetische Qualität zu sehen, eine geheimnisvolle Schrift wie auf alten Lochstreifen, die sich natürlich jedem Versuch der Entzifferung entzieht.
In der kleineren Halle im Untergeschoss begegnet man Abdias Nascimento wieder. Er ist mit mehreren Gemälden vertreten, eines trägt den Namen „Quilombismo“. Hier tauchen Orishas auf, die Götter der afro-brasilianischen Camdomblé-Religion. Nascimento war 1969 vor der Diktatur in die USA geflohen, dort entstand sein malerisches Werk. Dieser Raum vibriert, so bildmächtig und energiegeladen sind die diversen hier ausgestellten Bilder. Und ein Video der australischen Künstlerin Kaylene Whiskey, die eine Party mit den starken Frauen der First Nations feiert.
Auch Maria Auxiliadora aus Minas Gerais, Brasilien, liebte Feste, Tanz und Karneval. Sie war als Malerin Autodidaktin. Zwei unglaublich detailreiche, sprühende Bilder sind nach Berlin gekommen, davon eines aus dem französischen Musée d’Art Naif et des Arts Singuliers. Wie unsinnig die Bezeichnung Naive Kunst ist, erweist sich dann gleich bei den Arbeiten von Taller Portobelo aus Panama. Die Gruppe schöpft aus der Tradition der Arte Congos. Selbstbewusstsein und Lebensfreude manifestieren sich in diesen fantastischen Porträts: „King Guacamayo“ kommt mit Federschmuck aus tropischer Landschaft und verschmilzt mit ihr. Königin María Merced, eine Acrylmalerei mit Spieglscherben, feiert das Matriarchat.
Gelungener Neustart
Eine besondere Botschaft steckt in der „Starry Harp“ des 2003 verstorbenen jamaikanischen Musikers Everald Brown. Dieses mit Fischen bemalte Instrument wird von vier Menschen gespielt, wie ein Boot, das man gemeinsam rudert. Es gehört zu den Werken, die sich leicht in diesem Ensemble erschließen, jedenfalls an der Oberfläche.
Man darf sich keine Illusionen machen: Auch dies ist eine Ausstellung, die die Dinge aus dem Zusammenhang nimmt, um sie in einem neuen Kontext zu zeigen. Kuratieren heißt eingreifen, mit einer Agenda. Dazu hat das HKW ein umfangreiches Programm organisiert zum Quilombismo.
Das hat schon früher vor allem im Sommer bestens funktioniert, was heute dort als „Konvivialität“ bezeichnet wird. Also zusammensein, trinken, tanzen, essen. Zumal die Wassermusik, zuletzt vom Mississippi, bleibt in lebendiger Erinnerung. Der Neustart scheint gelungen. In Berlin muss man am Anfang ja auch kräftig Lärm und Party machen, sonst merkt es keiner. Wer Quilombo bisher für einen Drink gehalten hat, kann sich jetzt hinter den Wortgebirgen schlauer machen.