Der Krieg frisst das Kulturschaffen
Rohe Betonelemente, an Kräne gemahnende Stahlgestänge, Folienseen, die wie Öllachen aussehen. Unwillkürlich sucht man das dystopische Landschaftsszenario „floating terrain“ von Marta Dyachenko, dass die Bernhard-Heiliger-Stipendiatin gerade im Kunsthaus Dahlem zeigt, auf Verbindungen zum Krieg in der Ukraine ab. Dass die 1990 in Kiew geborene Künstlerin, die an der Universität der Künste, Bildhauerei und Architektur studierte, in Berlin lebt, spielt dabei keine Rolle.
Der Krieg und seine Bilder hat sich wie eine Assoziationsfolie über das Kunstschaffen von Ukrainerinnen und Ukrainern gelegt. Eigentlich konzentriert Dyachenko sich in ihrer bildhauerischen Arbeit auf gebaute Räume und Materialien wie Beton als deren Bedingung. Genauer: „Für den Raum, der sich in einem Transitionszustand zwischen Ruine und Neuaufbau befindet.“ Globalisierte Ökonomien, Ressourcengewinnung und Infrastrukturen sind ihr Thema.
Am Bahnhof Mariupol blickt man auf das Stahlwerk
2015 ist Dyachenko mit dem Künstlerkollektiv „wottak“ nach Mariupol gefahren und hat als Teilnehmerin einer künstlerisch-architektonischen Residency Stadtanalyse und Quartiersverbesserung betrieben. In der Hafenstadt, deren Name jetzt für Bombenkrieg und Belagerung steht.
„Mariupol ist so konzipiert, dass du das Metallwerk – den Stahlbau – siehst, wenn du am Bahnhof aussteigst. Nicht das Rathaus oder den Kirchturm, sondern das Werk – als Symbol der proletarischen Klasse.“ Ob es noch unbeschadet steht?
Dyachenko wollte als Künstlerin nie darauf reduziert werden, dass sie aus der Ukraine stammt. Sie glaubt an Internationalität.
Doch jetzt im Krieg seien das Rohstoff-Thema und die Infrastrukturen in den Medien präsent. Deswegen sehe sie selbst fast schon Bezüge zwischen ihrer Arbeit und dem Krieg. Der Gewalt, der Dyachenkos in Kiew ansässige Künstlerfamilie direkt betrifft. „Noch vor einem Monat haben wir geplant, dort gemeinsam eine große Werkstatt zu entwickeln. Jetzt hat das Atelier meines Bruders einen Bombenangriff abbekommen.“
In den letzten zehn Jahre sei die Kultur- und Kunstszene in Kiew unheimlich erblüht, erzählt die Bildhauerin. Kulturorte seien entstanden, ein Architekturdiskurs entwickelte sich. „Die Menschen hatten sehr viel Energie und Lust, Dinge zu schaffen.“ Endlich ging es auch um die ukrainische Identität.
Ein Akt des Widerstehens
„Alles was aufgebaut wurde, ist jetzt zerstört, der Krieg hat das Kulturschaffen des Landes gefressen. Das ist auch Ziel von Putins Politik.“ Trotz der Sorge um ihre in die Westukraine geflüchtete Familie, hat Dyachenko ihre zweiwöchige Präsentation aufgebaut und eröffnet.
Für sie ist es ein Akt des Widerstehens. Nicht zuletzt gegen die russische Angstpropaganda. „Auch im Moment der Zerstörung ist es wichtig, weiter im Kopf für die Demokratie zu kämpfen, um Raum, wo freies Denken möglich ist.“ In ihren Augen stemmt sich die Ukraine gegen Putins Absicht, „das Licht der Kunst, Musik, Literatur, Wissenschaft zu töten“.
[Marta Dyachenko “floating terrain” bis 20.3. im Kunsthaus Dahlem. Sasha Kurmaz und Mykola Ridnyi bis 11.4. in „What Matters“, Akademie der Künste Hanseatenweg.]
Das würden ihre Kollegen Sasha Kurmaz und Mykola Ridnyi gewiss unterschreiben. Sie konnten des Krieges wegen nicht nach Berlin reisen, um an der Eröffnung der Ausstellung „What Matters“ in der Akademie der Künste teilzunehmen. Beide flohen von Kiew nach Lwiw, Fragen können sie nur per Mail beantworten.
Die facettenreiche Werkpräsentation der Jungen Akademie versammelt 29 Stipendiatinnen der bildenden Kunst, die in Berlin in den AdK-Ateliers im Hansaviertel und in der Villa Serpentara in Olevano, Italien, entstanden sind. Ähnlich wie bei Marta Dyachenko ist vielen der Arbeiten der krisenhafte Zustand der Welt anzusehen.
Auf die von Sasha Kurmaz und Mykola Ridnyi, trifft das besonders zu. Beider Filmessays „State of Emergency“ und „Temerari“ bersten geradezu vor Aggression. Obwohl vor dem russischen Angriffskrieg entstanden, reflektieren sie die politische und soziale Situation in der Ukraine, in der der Krieg seit der Krim-Annexion 2014 die Gesellschaft aushöhlt.
Sasha Kurmaz’ „The Temple of Transfiguration“ begrüßt einen in Form einer Pop-up-Kapelle schon auf dem Vorplatz des Akademiegebäudes am Hanseatenweg. Eine Goldkuppel glänzt, den Kapellenkorpus bildet eine abblätternde Holzkabine mit Klappfenstern und Tür.
Pop-up-Kapellen okkupieren den öffentlichen Raum
Die Innenausstattung mit Ikonen fehlt, weil Kurmaz sie wegen des Ausreiseverbots für wehrfähige Männer nicht fertigstellen konnte. Erst nach der Beschaffung der alten LKW-Kabine in Polen, stellte sich heraus, dass sie einst zu einem russischen Armeelaster gehörte. Das wirkt jetzt geradezu prophetisch. Kurmaz untersucht seit 2018 die Propaganda der Russischen Orthodoxen Kirche und der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.
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Improvisierte Kapellen dienen ihr – über Nacht auf Brachen aufgebaut – als Vehikel illegaler Landnahme im öffentlichen Raum ukrainischer Städte. „Der Kreml hat die Orthodoxie viele Jahre geschickt zur Einflussnahme genutzt, um das nationale Bewusstsein in der Ukraine zu unterdrücken und die Separatisten-Bewegung anzuheizen“, schreibt Kurmaz und erzählt von seiner Sorge um das Land, Familie und Freunde. „Ich habe Angst, dass die Ukraine einen zu hohen Preis für ihren Frieden und ihre Unabhängigkeit zahlen muss“.
Trotzdem glaubt er fest an die Kraft der Kultur. „Ich spüre, dass sich die Welt ändert und dass ich im Zentrum dieser Veränderung stehe, also möchte ich meine Kenntnisse nutzen, um der Welt zu zeigen, was in der Ukraine wirklich geschieht.“
Beide konnten sich den Angriff nicht vorstellen
Dass die Russen das ganze Land angreifen, konnten sich weder er noch Mykola Ridnyi vorstellen. Ridnyi lotet in der Filmcollage „Temerari“ die Bildsprache rechtsextremer Bewegungen in Italien und der Ukraine aus und schlägt einen kulturgeschichtlichen Bogen vom Futurismus-Gründer Filippo Tommaso Marinetti zum Militarismus, der jetzt freiwillige Kämpfer in die Reihen beider Kriegsparteien treibt.
Putins Denazifizierungs-Propaganda kommentiert Ridnyi so: „Ich will die Präsenz von Rechtsextremisten in der Ukraine nicht leugnen, aber sie ist nicht größer als unter den Unterstützern der ,Russischen Welt‘ oder unter italienischen Tifosi.“ Im Gegensatz zu Deutschland, wo die AfD über 83 Parlamentssitze verfüge, habe die äußere Rechte in der Ukraine bei der letzten Wahl nur vier Prozent gewonnen.
Panzern mit Kunst zu widerstehen, ist unmöglich
Über die derzeitige Wirkkraft der Kunst macht er sich keine Illusionen. „Du kannst Panzern und Raketen nicht mit deiner Kunst widerstehen. Das ist unmöglich. Aber du kannst die Menschen in anderen Ländern über die Situation aufklären.“
Der Barbarei der Krieges stemmen sich Kulturinstitutionen in seinen Augen entgegen, indem sie ihre Rolle wechseln. „Das Yermilov Center in Charkiw dient jetzt als Luftschutzraum, die Detenpula Galerie in Lwiw als Flüchtlingsunterkunft.“
Für die Zukunft erwartet er, dass die Kunstszene komplett neu aufgebaut werden muss. Das sei nur möglich, wenn die Ukraine den Krieg gewinne und als unabhängiges Land bestehen bleibe, schreibt er. Anderenfalls sieht er schwarz für Freiräume. „Russland wird uns keine Kultur bringen, sondern Restriktionen, Zensur und Konservatismus.“