Freundschaft auf den ersten Blick
Man hätte es ahnen können, dass es noch einmal etwas bedeuten könnte. Trixie, das ausgeflippte, spontane Mädchen an der Robson-Highschool, wechselte alle zwei Wochen ihre Haarfarbe, ihre Frisur, ihren Stil, ihr Makeup. „Ich verlor den Überblick, welche Version von dir gerade aktuell war, obwohl ich dich den Sommer jeden Tag sah“, sagt sich Fiona, als ihre Freundin nach einer Party verschwunden ist. Fiona wirkt wie das Gegenteil von Trixie: überaus normal, unzufrieden mit ihrem Körper, gestresst vom ewigen Vergleich der Mädchen aus der Cheerleader-Gruppe, zu der sie einmal gehört hat. Als die Polizei Fiona, deren angeblich beste Freundin, um eine Beschreibung von Trixie bittet, weil keine Fotos von ihr existieren, fällt das Fiona schwer. Wer war Trixie wirklich? Und was geschah in jener Nacht?
Erfahrung als Model
Mit Trixies Verschwinden beginnt Laurie Elizabeth Flynns Psychothriller „Wer zuletzt lügt“. Flynn, die mit ihrer Familie in Ontario lebt, kennt sich aus in der Welt der Mädchen-Cliquen, dem, was angesagt ist und was nicht, sie hat als Model in Tokio, Paris und Athen gearbeitet. Mit derlei Glamour kann die Welt der Robson-Highschool nicht glänzen. Früher zog Fiona mit der Gang von Alison und Jenny um die Häuser. Bis sie sich von Jenny verraten fühlte, die ihr den angehimmelten Beau vor der Nase weggeschnappt hatte. Und dann sprang plötzlich Trixie in ihr Auto, und Fiona konnte es nicht fassen, dass so ein flippiges Mädchen sie interessant fand. Freundschaft auf den ersten Blick.
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Der Leser lernt den Kosmos der Schülerinnen und Schüler aus der Sicht von Fiona kennen, ihre Perspektive und ihre Erzählung bestimmen den Gang der Handlung. Fiona glaubt nicht, dass Trixie sich vom Pier ins Wasser gestürzt hat, um sich das Leben zu nehmen. Rucksack und T-Shirt wurden am Strand gefunden, aber die Leiche taucht nicht auf. Und dann ist da noch Beau, der wirklich so heißt und der Schwarm aller Mädchen der Schule ist. Auch Fiona schmachtet ihn an, doch er gibt sich cool und unnahbar, seit vor einem Jahr sein Bruder Toby verschwunden ist. Toby wurde schließlich für tot erklärt. Er war mit Trixie zusammen, aber wer weiß, vielleicht auch nicht. Sind Toby und Trixie miteinander durchgebrannt und haben alle Spuren verwischt?
Papa war ein Hippie
Mit der Atemlosigkeit eines Krimis erzählt „Wer zuletzt lügt“ von Fionas Suche nach Trixie. Die kurzen Kapitel springen zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. In Rückblenden versucht Fiona, sich ein Bild von der Verschollenen zu machen, mit wem sie Beziehungen hatte, wer ihr nahe stand. Was sie weiß, ist wenig. Wie auch das, was andere über Fiona wissen, wenig ist. Mit ihrem Vater, einem Hippie, hat sie sich gut verstanden. Aber nun lebt sie bei ihrer Mutter, einer Geschäftsfrau, die unentwegt auf Reisen ist.
Von dem, was Fiona umtreibt, hat die Mutter keine Ahnung. Sie merkt nicht einmal, dass Fiona ihre brave Freundin Sarah erfunden hat, nur damit die Mutter beruhigt wegfahren kann. Sich selbst und den anderen fremd zu sein, dieses Lebensgefühl kennen viele Teenager. Irgendwo dazugehören zu wollen, aber doch nicht richtig reinzupassen. Nach der Schule will Fiona studieren, in Kalifornien oder New York. Soll sie dabei sich von der Entscheidung ihrer Freundinnen und Freunde abhängig machen oder ihren eigenen Weg gehen?
Unzuverlässige Erzählerin
Es passiert nicht wahnsinnig viel in diesem Roman, in dem schließlich noch ein Ex-Freund von Trixie auftaucht und vorgibt, Fiona bei der Suche helfen zu wollen. Als Leser hat man schnell gelernt, misstrauisch zu sein. Auf Fiona als Erzählerin ist wenig Verlass. Laurie Elizabeth Flynn dreht gekonnt an der Spannungsschraube, das Gefühl der Verunsicherung ist elementar für ihr gelungenes „Young Adult“-Buch (Laurie Elizabeth Flynn: Wer zuletzt lügt. Aus dem Englischen von Stefanie Frida Lemke. Carlsen, Hamburg 2021. 428 Seiten, 15 €. Ab 14 Jahre).