Auf neuen Gleisen
Im Hamburger Bahnhof machen sie gerade ein Wechselbad der Gefühle durch: himmelhoch jauchzend und ziemlich betrübt. Anfang vergangener Woche wurde bekannt, dass nach einjährigen, ausgesprochen schwierigen Verhandlungen mit der CA Immo AG die Rieckhallen voraussichtlich gerettet sind. Großer Jubel, kein Abriss, wie bis zuletzt befürchtet. Kurz zuvor hatte der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz überraschend eine neue Doppelspitze für das Museum der Gegenwart zum 1. Januar 2022 berufen. Lange Gesichter bei der bisherigen Leiterin Gabriele Knapstein, die ebenfalls ihre Bewerbung eingereicht hatte, und beim Verein der Freunde der Nationalgalerie, der sich beim Findungsprozess übergangen fühlte.
Memorandum of understanding
Es passiert gegenwärtig ein Menge am Hamburger Bahnhof, der sich einerseits personell neu aufstellt, andererseits an seinem Standort glücklicherweise erst einmal keine Änderung erfährt. Das vom Regierenden Bürgermeister, den drei Senatoren für Kultur, für Stadtentwicklung und Wohnen sowie für Finanzen sowie dem Vorstandsvorsitzenden des Wiener Immobilienunternehmens unterschriebene „Memorandum of understanding“ sieht eine Verlängerung des Mietvertrags um ein Jahr vor. In dieser Zeit soll sich klären, welche Grundstücke im Tausch angeboten werden. Die CA Immo dürfte sich nicht lumpen lassen. Und doch musste für alle Beteiligte eine Blamage abgewendet werden. „Wir wollten nicht diejenigen sein, die am Ende die Abrissbirne ansetzen müssen“, formulierte es Immo-Sprecher Andreas Quint.
Lange Zeit sah es danach aus. Der ursprünglich dem Bund gehörende Hamburger Bahnhof als Teil des ehemaligen Reichsbahnvermögens war fahrlässig privatisiert worden, obwohl das Land in den 1990er Jahren die aufwändige Sanierung und Umgestaltung durch Josef Paul Kleihues noch finanziert hatte. Dass ein Neubesitzer ganz andere Interesse verfolgen und weitere Hochhauskomplexe hochziehen würde, konnte sich offensichtlich weder bei der Stiftung noch beim Land jemand vorstellen. Diesen Fehler lässt sich die CA Immo nun teuer bezahlen – gewiss auch bei den Weiterverhandlungen über das Haupthaus. Auch der Hamburger Bahnhof selbst wurde versilbert. Hier führt die Staatsministerin für Kultur nun die Gespräche.
Sanierung steht an
Bislang ist das Museum für Gegenwart glimpflich davongekommen. Hätte es die Rieckhallen verloren, wäre auch die Hälfte an Ausstellungsflächen fort gewesen, außerdem das unterirdische Depot, das bisher Transporte kreuz und quer durch die Stadt verhinderte. Doch dabei wäre es nicht geblieben. In den nächsten Jahren muss der Hamburger Bahnhof saniert werden, seit längerem ist bereits die Kleihues-Halle wegen Ausbesserungen am Dach geschlossen. Die Sanierung bedeutet jedenfalls eine nochmalige Reduzierung der Schauflächen. Umso mehr betont Gabriele Knapstein, wie wichtig die Rettung der Rieckhallen ist, um museal arbeiten, um Ankäufe und Schenkungen dem Publikum überhaupt zeigen zu können. Sie macht sich nun verstärkt Hoffnungen auf einen guten Ausgang auch der Verhandlungen um das Haupthaus, das mit den Rieckhallen schließlich eine Einheit bildet.
Einen Kommentar zur Berufung des Kuratorenduos Sam Bardaouil und Till Fellrath als ihre Nachfolger lässt sie sich nicht abringen – nur so viel, dass jetzt erste Gespräche geführt werden. Allerdings macht sich deutlich Unruhe breit, denn die beiden besitzen als Ausstellungsmacher zwar einen guten Namen und haben mit ihrer auf Kunst aus dem Nahen Osten spezialisierten Plattform Art Reoriented mit zahlreichen Institutionen weltweit zusammengearbeitet. Doch Museumserfahrungen besitzen sie keine.
Schwammige Antrittsrede
So ist die erste Jahreshälfte ihres Kalenders bereits gut gefüllt, leiten sie doch die Lyon Biennale und betreuen sie den französischen Pavillon auf der Biennale di Venezia. In einem ersten Statement kündigten Bardaouil und Fellrath an: „Der Hamburger Bahnhof wird sich als offenes Forum für die Generierung neuer Ideen behaupten und die Spielräume institutioneller Praktiken und zeitgenössischer künstlerischer Kreation erweitern.“ Das klingt, wie nicht anders zu erwarten, noch schwammig. Doch dürfte das Duo eine Menge neuer Ideen, internationale Kontakte mitbringen – ähnlich wie Klaus Biesenbach, der vom Stiftungsrat parallel zum Direktor der Neuen Nationalgalerie benannt wurde.
Allerdings wurden beide Neuberufungen in einem Moment durchgezogen, an dem der Reformprozess der Staatlichen Museen keineswegs abgeschlossen ist. Den Zerfall der Nationalgalerie trotz gemeinsamer Sammlung in unabhängig voneinander operierende Häuser – in Alte und Neue Nationalgalerie sowie Hamburger Bahnhof – treibt dies weiter voran. Bis zu Udo Kittelmanns Abgang im vergangenen Jahr gab es eine Führung für alle. Gabriele Knapstein und ihre Kollegen Joachim Jäger und Ralph Gleis von Neuer und Alter Nationalgalerie hatten noch kollegial eine Allianz geschmiedet, die sie fortsetzen wollten. Das könnte sich nun ändern. Die künftigen Chefs des Hamburger Bahnhofs treten ihr Amt zu einem Zeitpunkt an, an dem keineswegs klar ist, wohin es mit den Staatlichen Museen geht. So viel steht fest: Die Rieckhallen können sie einstweilen behalten.