Vom Außenseiter zum Favoriten in 90 Minuten

Alexandra Popp sank zu Boden und wurde von ihren Emotionen übermannt. Gegen Dänemark hatte sie im ersten EM-Spiel der deutschen Fußballerinnen kurz vor Schluss zum 4:0-Endstand eingeköpft und für den emotionalen Höhepunkt gesorgt. Vielleicht sind ihr in diesem Moment, die vielen Verletzungen ihrer Karriere durch den Kopf gegangen und dass sie an dieser Europameisterschaft nur teilnehmen kann, weil diese um ein Jahr verschoben wurde.

Womöglich dachte sie auch an die Corona-Infektion vor ein paar Wochen, weshalb sie auch dieses Turnier beinahe verpasst hätte. „In der Zeit habe ich schon gedacht, es kann doch nicht sein, dass es hinterher an Corona scheitert und nicht an einer Verletzung“, sagte Popp.

Aber mal wieder hat sich die 31 Jahre Angreiferin zurückgekämpft und ihr Tor gegen die Däninnen war die Krönung eines furiosen Auftritts der gesamten deutschen Mannschaft. „Ich kann es gar nicht glauben. Ich bin mega froh, diese Spielzeit bekommen zu haben und dann noch ein Tor gemacht zu haben“, sagte die Torschützin. Nach ihrem Kopfball nach sehenswerter Flanke von Sydney Lohmann fiel sie auf die Knie und wurde sofort von ihren Mitspielerinnen freudestrahlend umarmt. Der Treffer bedeutet nicht nur Popp eine Menge, sondern dem ganzen Team.

Eigentlich ist diese Geschichte nur eine von vielen, die das Spiel gegen Dänemark lieferte. Eine weitere ist die der Ersatzspielerinnen. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hatte im Vorfeld angekündigt, dass sie „Power und Qualität“ auf der Bank habe, doch dass sich die eingewechselten Spielerinnen so nahtlos einfügen würden, war dennoch beeindruckend.

Das deutsche Team galt vor der EM als Wundertüte. Bewusst war nur ein Testspiel absolviert worden, um genügend Zeit zu haben, gemeinsam zu trainieren und sich zu finden. Voss-Tecklenburg hat offenbar den richtigen Weg gewählt, das legte zumindest die Leistung am Freitagabend in Brentford nahe. „Uns muss man erstmal schlagen und wenn wir so spielen wie heute, dann wird das niemandem gelingen“, sagte die Bundestrainerin.

Deutschland war hochkonzentriert, wirkte entschlossen und zog ein aggressives Angriffspressing auf, wie es nur wenige erwartet haben dürften. Am allerwenigsten das Team von Lars Söndergaard, das überfordert wirkte und über die ganze Spielzeit keine Antwort fand.

Die Deutschen strahlten Spielfreude und Kreativität aus

Nach einem vergleichsweise ruhigen Beginn sorgte Außenverteidigerin Felicitas Rauch mit ihrem Lattentreffer für die erste Großchance der Deutschen. Ab diesem Zeitpunkt lief Deutschland nur noch an und kam zu einigen Balleroberungen weit in der gegnerischen Hälfte. Nachdem Rauch kurze Zeit später erneut nur die Latte traf und Schüller den Pfosten (wenn auch aus einer Abseitsposition heraus), wirkten die Spielerinnen fast sauer, noch kein Tor erzielt zu haben. Sinnbildlich stand der Führungstreffer durch die starke Lina Magull nach einem erfolgreichen Pressingmoment.

Das deutsche Team spielte in einer Art und Weise, die extrem laufintensiv ist und höchste Disziplin von allen erfordert. Auch das Fitnesslevel stimmte bei den Spielerinnen von Voss-Tecklenburg, die vielen Trainingseinheiten haben sich augenscheinlich ausgezahlt. Neben dem aggressiven Pressing strahlten die Deutschen Spielfreude und Kreativität aus und legten durch Lena Oberdorf und Magull eine extrem präsente Körpersprache und großen Siegeswillen an den Tag, den sie in der Vergangenheit zuweilen vermissen ließen.

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Zusätzlich hat Deutschland eine Ausgeglichenheit im Kader, die Wechsel ermöglicht, ohne dabei Qualität einzubüßen. Das verdeutlichte das 3:0 durch die eingewechselte Lena Lattwein und auch der vierte Treffer durch Popp nach Vorarbeit von Lohmann, ebenfalls beides Ersatzspielerinnen. Aber auch Jule Brand und Linda Dallmann beflügelten nochmals das Spiel der Deutschen und ermöglichten es, das Pressing nahezu über die ganze Spielzeit durchzuziehen.

Spanien ist eine andere Herausforderung

Die Däninnen fanden über 90 Minuten keine Lösung und wirkten teilweise etwas unflexibel in ihrem 3-4-3-System. Durch diese taktische Ausrichtung waren sie oft in Unterzahl im zentralen Mittelfeld, was es Deutschland ermöglichte, vor allem über Svenja Huth und Giulia Gwinn auf der rechten Seite hinter die letzte Abwehrreihe zu kommen und gefährliche Flanken zu schlagen. Die Abwehrkette der Deutschen stand ebenfalls sicher, schlug gute Diagonalbälle und geriet höchstens durch gegnerische Ecken in Bedrängnis.

Es fällt schwer, nach solch einem Auftritt nicht euphorisch zu werden. Dänemark war sicherlich kein einfacher Gegner und trotzdem ist Spanien im zweiten Gruppenspiel am Dienstag nochmal eine andere Herausforderung. Trotz des Ausfalls von Weltfußballerin Alexia Putellas erzielten die Spanierinnen vier Tore gegen Finnland (4:1) und dürften mehr Ballbesitz anstreben als Dänemark. Doch mit solch einer Teamleistung und mentalen Stärke können die deutschen Spielerinnen selbstbewusst auftreten. Außenseiterinnen sind sie gegen die Spanierinnen nach den Auftritt gegen Dänemark ganz sicher nicht.