David Schnell stellt im Mies van der Rohe-Haus aus: Der Geist des großen Architekten

Terrakotta-Farben und Grüntöne, geometrische Konstrukte, mannigfaltige Raumfluchten und Abgründe. Befinden wir uns in einem Innen- oder Außenraum? Ist das ein Bauwerk oder eine Stadtsilhouette? Blicken wir durch ein Fenster auf eine Grünfläche oder auf eine geschlossene Tür? Und ragt zwischen all den Häusern einsam ein Baum hervor? Oder ist alles doch nur Schimäre?

David Schnell versteht es meisterlich mit seiner Malerei im Grenzbereich zwischen Figuration und Abstraktion zu wandeln. Schafft ganz selbstverständliche Übergänge, die sich mit souveräner Nonchalance durchdringen. Alles ist im Fluss, die Perspektive im steten Wechsel und doch auf wundersame Weise kompakt und geformt. Grundsolide und zugleich fröhlich instabil und irritierend.

Ein Jahr lang hat David Schnell sich auf die Ausstellung im Mies van der Rohe Haus vorbereitet; hat Arbeiten entwickelt, die auf kongeniale Art den Geist des großen Architekten widerspiegeln sowie die baulichen Eigenheiten des L-förmigen Bungalows, der seit 2006 das kleine, aber überaus feine, längst über die Stadtgrenzen hinaus renommierte Museum samt Forschungsstätte beherbergt.

Mit viereinhalb Meter Breite wandfüllend: David Schnells Gemälde „Kongress“ aus dem Jahr 2024.

© David Schnell, VG Bild/Kunst/David Schnell, VG Bild/Kunst

Wo in David Schnells Werken der letzten Jahre oft kristalline Formen mit explosiver Kraft vorherrschten, tritt jetzt Klarheit in den Fokus. Horizontale und vertikale Linien und Rechtecke, die für sich stehen oder Körper bilden, an Gebäude oder an einzelne Ziegel erinnern, wie Mies van der Rohe sie für das 1932 erbaute Wohnhaus Lemke verbaut hat. Das impliziert im Detail einerseits Ruhe und Ordnung, andererseits wimmelt es geradezu von diesen Formelementen, was die Bilder recht lebhaft und so gar nicht streng wirken lässt.

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Glitzernde Details: „Palais“ von David Schnell aus dem Jahr 2024.

© David Schnell, VG Bild/Kunst/David Schnell, VG Bild/Kunst

Die Inspiration zu dieser stilistischen Wandlung geht zurück auf einen Besuch des Malers in Ludwig Mies van der Rohes Villa Tugendhat im tschechischen Brünn. Die Auf- und Abgänge des Gebäudes in Hanglage hätten ihm, so Schnell, eine völlig neue Raumerfahrung vermittelt. Diese signifikante Wahrnehmung von Räumlichkeit überträgt sich in den aktuellen Bildern auf die Betrachtenden. Nicht zuletzt durch die gelungene Ausstellungskonzeption bieten sie zudem einen veränderten Eindruck auch des realen Mies von der Rohe Hauses und der wunderbaren Gartenanlage zum Obersee.

„Clear Velvet“, so der Ausstellungstitel, mutet in der Wortkombination zunächst widersinnig an. Doch transformiert der 1971 in Bergisch Gladbach geborene Künstler in der gleichnamigen Arbeit nicht nur die klare Bauweise Mies van der Rohes in die zweidimensionale Kunst, sondern zugleich die Materialität der Stoffe, die der Bauhaus-Meister als Raumteiler eingesetzt hat.

Kristalline Räume, explosive Kraft

Seine Werke hat Schnell, der sein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig 2002 als Meisterschüler von Arno Rink abgeschlossen hat, außerdem formal auf das letzte private Wohnhaus abgestimmt, das Mies van der Rohe vor seiner Emigration in die USA entworfen hat. Die über zwei Meter messenden Hochformate beginnen fast Wand füllend etwa 20 Zentimeter über dem Fußboden oder reichen – wie der mehr als viereinhalb Meter breite „Kongress“ – über eine komplette Wand.

Auch dadurch gelingt es David Schnell in unnachahmlicher Manier die Betrachtenden sogartig in die Kompositionen und seine pointierten Farbwelten hineinzuziehen. Wir beschreiten fragile Wege, bewegen uns auf frei schwebenden Plateaus oder plötzlich endenden Planken, die über gähnende Tiefen ragen; blicken in die Ferne oder auf Wand- und Dachkonstruktionen. Wobei der delikate Duktus in den transparenten Partien ebenso auf den Baustoff Glas und die damit einhergehende Offenheit der Architektur Mies van der Rohes rekurriert.

In sich geschlossen hingegen erscheint das großformatige „Diorama“, in dem Schnell bauliche Elemente der frühen Moderne zu einem Interieur von faszinierender Plastizität verarbeitet. Die dunklen, aus sich heraus leuchtenden Blau- und Grautöne und die räumlichen Verschachtelungen erinnern an sakrale Bauten oder an Giambattista Piranesis Kupferstichfolge der „Carceri“.