Bitte halten Sie ihre Maske bereit
Zu den beliebtesten Accessoires auf dem Festivalgelände gehört in diesem Jahr neben der obligatorischen gelben Festivaltasche die Mund-Nasen-Maske – wohlgemerkt lässig am Unterarm befestigt. Stets griffbereit, aber eben oft nicht mehr als ein Zeichen des guten Willens. Schließlich wird das Publikum vor jeder Vorführung durch eine freundliche Ansage darauf aufmerksam gemacht, dass Maskenschutz unbedingt empfohlen ist.
Und hat da jemand behauptet, dass geduldiges Insistieren nichts bringt? Zum Wochenende hin sieht man im Publikum immer öfter Masken, auch wenn die Beteiligung bei unter 50 Prozent liegen dürfte – obwohl es inzwischen selbst im persönlichen Umfeld Covid-Fälle gibt. Jenseits des Festival-Palazzos sieht die Realität dann schon wieder ganz anders aus. Der Sonntagnachmittag auf dem Lido fühlt sich so unbeschwert an, den will sich niemand beim Flanieren mit Maske vermiesen lassen. Auch die Restaurants sind voll.
Auf der Leinwand konnten sich Masken in der Pandemie ebenfalls nicht durchsetzen. Einen originellen Kniff hat dafür der amerikanische Regisseur Ti West gefunden, der seinen Horrorfilm „Pearl“, das Prequel zu der 1970er-Slasher-Hommage „X“, im Jahr 1918 ansiedelt. Der Krieg in Europa liegt in den letzten Zügen, die neue militärische Mobilität hat die Spanische Grippe über den Globus verbreitet. Pearl (Mia Goth) wird von ihrer dominanten Mutter aus Angst auf der kleinen texanischen Familienfarm isoliert. Doch das Mädchen stiehlt sich davon – natürlich ins Kino, wo es hinter seinem Mundschutz von einer Karriere als Tänzerin träumt. Im Kino werden selbst im Kino Masken getragen.
Brendan Fraser hat ein Comeback im Fettanzug
Ein (Quasi–)Lockdown-Film aus der Drehbuch-Hölle ist dagegen Darren Aronofskys bizarres Kammerdrama „The Whale“, in dem Brendan Fraser im Fettanzug sein Leinwand-Comeback als adipöser Mann feiert, der sich kurz vor dem bevorstehenden Herzinfarkt mit seiner pubertierenden Tochter („Stranger Things“-Star Sadie Sink) versöhnen will. Aronofsky scheint trotz seines misogynen Psychohorrorfilms „Mother!“, der hier bei seiner Premiere 2017 ausgebuht wurde, auf dem Lido immer noch wohlgelitten. Man fragt sich zunehmend, warum bloß.
„The Whale“, der seine Theater-Herkunft inszenatorisch kaum kaschieren kann, ist über weite Strecken unfreiwillig komisch, bald auch unangenehm spekulativ. Die verschiedenen Besucher in der düsteren Wohnung wiederholen so oft, dass Charlies Anblick sie nicht abstoße, bis es der Film selbst nicht mehr glaubt. Fraser bleiben als einziger Ausdruck seine Augen – oder wenn er seine 200 Kilo mal aus der Couch wuchtet. Wo „The Wrestler“ dramaturgisch noch funktionierte, weil Aronofsky die Geschichte seiner Figur in der Biografie seines Stars Mickey Rourke spiegelte, ist „The Whale“ nur noch ein trauriges Spektakel.
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Die Schauspielerin Virginie Efira scheint für die Generation französischer Filmemacherinnen, die um 1980 geboren wurden, eine identitätsstiftende Rolle einzunehmen. Warum, kann kann man sehr schön in Rebecca Zlotowskis Frauenporträt „Other People’s Children“ sehen, in dem Efira eine Frau um die 40 mit einem ausgeprägten Kinderwunsch spielt. Stattdessen verliebt sich Rachel in den älteren Ali (Roschdy Zem) und entwickelt eine innige Bindung zu dessen vierjähriger Tochter. Gleichzeitig muss sie realisieren, dass sie in der Patchwork-Familie immer die Außenseiterin bleiben wird.
Zlotowski kommt mit Vorschusslorbeeren an den Lido, ihr Film wirkt zunächst konventioneller als ihr feministisches Coming-of-Age-Drama „Ein leichtes Mädchen“. Gemeinsam haben beide aber einen klischeefreien Blick auf vermeintlich typische Frauenfiguren. Im wieder mal quotenschwachen Venedig-Wettbewerb ist Zlotowski damit bestens aufgehoben.