Halsbrecherische Tempi und romantische Tondichtungen

Man muss die Ouvertüre zu Michail Glinkas Oper „Ruslan und Ludmila“ nicht in so einem halsbrecherischen Tempo nehmen wie Emmanuel Tjeknavorian und das niederösterreichische Tonkünstler- Orchester. Aber wenn man es kann, wird dieses Höllentempo zum Vergnügen.

Technisch meistern die Musikerinnen und Musiker die Herausforderung souverän, vor allem aber weiß der Dirigent, was er will: das Vorspiel der ersten russischen Nationaloper aus dem Jahr 1836 als elektrisierende Entladung kreativer Energie darbieten.

Scharfe rhythmische Akzente

Tjeknavorian setzt dabei scharfe rhythmische Akzente, um das wirbelnde Klanggeschehen zu strukturieren und hebt immer wieder mal die Nebenstimmen hervorhebt, während die eigentliche Melodienlinie zum flirrenden Glitzern im Hintergrund wird, zur tönenden Gischt.

Wenn der Puls der Musik stimmt, wenn die innere Logik gewahrt bleibt, wirkt der Furor ganz organisch. Das funktioniert auch bei den „Polowetzer Tänzen“ aus Alexander Borodins „Fürst Igor“-Oper prächtig.

Frisch wirken beide Wunschkonzert- Klassiker, mitreißend lebendig. Denn Emmanuel Tjeknavorian spielt ebenso virtuos mit dem Orchester, wie er es sonst auf seiner Geige tut. Der gerade mal 26-jährige Künstler hat bereits eine beachtliche Solistenkarriere hinter sich, begeistert das Publikum mit seinen Interpretationen großer Violinkonzerte in den Kulturmetropolen wie auch auf CD.

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Für sein Debütalbum als Dirigent hat sich der in Wien geborene Musiker jetzt ein rein russisches Programm vorgenommen. Im Zentrum steht dabei ein Werk, das er seit Kindertagen liebt, das er als Knirps immer und immer wieder auf dem Plattenspieler laufen ließ, während er selbst dazu den Wohnzimmer-Maestro mimte: Nicolai Rimski-Korsakows hoch romantische Tondichtung „Scheherazade“.

Um diese geliebte Musik im Konzertsaal gestalten zu können, war Tjeknavorian bereit, dem Publikum den Rücken zuzudrehen, seine gewohnte Position als Solist, der direkt in den Saal blickt, mit der des Orchesterleiters zu tauschen.

[Das Album ist beim Label des Tonkünstler-Orchesters erschienen, Informationen unter www.tonkuenstler.at.]

Seine Vertrautheit mit der Partitur vermittelt sich sofort, mit großer Selbstverständlichkeit behält der Doppeltbegabte die Übersicht im erzählerisch ausufernden Klanggeschehen dieser Märchenmusik aus 1001 Nacht. Im Laufe des 45-minütigen Werks aber wird dann doch deutlich, dass er als Dirigent noch am Anfang steht.

Manches gerät noch recht robust

Das Exquisit-Raffinierte von Rimski-Korsakows Orchesterbehandlung vermag er noch nicht vollständig zu entfalten, die Kunst der Tiefenstaffelung im Klangraum beherrschen erfahrenere Maestri besser, die Überblendung der einzelnen Stimmen zu einem einzigen Farbrausch.

Manches gerät Tjeknavorian noch recht robust, am überzeugendsten gelingen die turbulenten Szenen. Schützenhilfe in Sachen Sinnlichkeit leistet dem Taktstock-Newcomer ein Geigen-Kollege: Die Monologe der Scheherazade, die Rimski-Korsakow der Konzertmeister-Violine übertragen hat, spielt Kirill Maximov mit betörender Baklava- Süße.