Die USA, das Land der Zynischen
Es ist inzwischen möglich (und vermutlich ist es sogar wahrscheinlich), dass die USA nicht mehr zu heilen sind. Dass sie sich unrettbar beschädigt haben in ihrem Hass, ihrem Wahn. Dass aus Spaltung Selbstzerstörung geworden ist.
Das ist absurd, angesichts der Pandemie, der Klimakrise, des Kriegs in der Ukraine oder des Bildungsnotstands, der Obdachlosigkeit, all der Drogen innerhalb Amerikas. Es gäbe viel zu tun … doch Wahn ist natürlich immer absurd.
Der Redner dieses amerikanischen Sommers, Steve Kerr, ist ein Basketball-Trainer. Einst musste Kerr erleben, wie der Vater, Politikwissenschaftler, in einem dysfunktionalen Land, Libanon, mit zwei Kopfschüssen ermordet wurde. Später, als Spieler in Chicago, war Kerr kleiner als Michael Jordan, aber Vorlagengeber. Nun, als Trainer der Golden State Warriors, lenkt er die USA ab von ihrer Sportfixierung, lenkt von der Ablenkung ab und zurück zum Eigentlichen.
[Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer]
Zehn Menschen sind in einem Supermarkt in Buffalo erschossen worden, 21 in einer Grundschule in Uvalde. Vor einem Spiel gegen Dallas redet Kerr nur zweieinhalb Minuten lang, er sagt: „Deshalb frage ich Sie, Mitch McConnell, ich frage Sie, all die Senatoren, die sich weigern, etwas gegen die Gewalt und die Schießereien in unseren Schulen und Supermärkten zu unternehmen: Werden Sie Ihr eigenes Streben nach Macht über das Leben unserer Kinder stellen? Und das unserer Alten? Und das unserer Kirchgänger? Denn genauso sieht es aus. Das machen wir jede Woche. Ich habe es satt, ich habe genug.“
„Ich habe es satt, ich habe genug.“
Die Verfassung der USA, 1787 verabschiedet und 1789 in Kraft getreten, wurde 1791 um neun Zusatzartikel, „amendments“, erweitert, darunter der zweite: „Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“ Die Autoren jener Verfassung wussten wenig von Amerikas Zukunft und nichts von einem halbautomatischen Sturmgewehr namens AR-15.
Die Autoren der Verfassung wussten übrigens auch nichts von Empfängnisverhütung oder Abtreibung; sie erwähnten Frauen gar nicht.
Alle, die heute Amerikas Wahn verstärken, berufen sich auf diese Verfassung. Wenn es um Waffen geht, argumentieren sie nicht mit dem Recht zu leben, sondern mit der uramerikanischen Freiheit. Schutz vor Amokläufen gebe es nur durch die Bewaffnung von Lehrern und Eltern, sagt Donald Trump, von der Waffen-Lobby gesponsert.
Diese amerikanische Freiheit ist McConnell oder Trump nicht wichtig, wenn es die Freiheit der Frauen ist. Abtreibung soll immer und grundsätzlich verboten werden, auch nach Vergewaltigung oder Inzest. Eine Urteilsbegründung des Supreme Court, die verfrüht bekannt wurde, konstatiert: „Von Anfang an ungeheuerlich falsch“ sei jenes Urteil von 1973 gewesen, Roe versus Wade, das Frauen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch zuspricht. An dieser Stelle finden Amerikas Spalter Regeln nicht so schlimm, jetzt geht es um das Leben, das ungeborene.
Nichts passt zusammen. Oder doch? Falls es darum ginge, eine männlich-martialisch-republikanische Lebensweise durchzusetzen und Frauen in alte Rollen zu zwingen, wie im Staate Gilead von Margaret Atwood, wäre das alles kohärent.
Verlorene Wahlen nicht anzuerkennen gehörte zwingend dazu; und zum Kauf von noch mehr Waffen aufzurufen ebenfalls, damit genügend auf Vorrat sein werden, wenn sie nach dem nächsten Wahlsieg gebraucht werden.
Ich dachte jahrzehntelang, durchaus liebend, dass die USA immer einen Weg fänden, weil sie endlos viel Phantasie und Kraft und Mut hätten. Ich fürchte, das Reservoir ist verbraucht.