Sexy Maschinenstürmer 3.0
Wer sich im Blockbusterkino in den vergangenen Jahren immer öfter wie im falschen Film fühlte, könnte in „The Matrix Resurrections“, dem vierten Teil der Reihe, zumindest ein paar Antworten auf die franchise fatigue nach dem letzten Multiplex-Besuch finden. Die Antworten sind nicht besonders erhellend, klingen eher wie halbherzige Rechtfertigungen. Sie sind aber zumindest ehrlicher als die schamlose Nostalgie, die gerade auch den letzten „Spider-Man“ befallen hat. (Und davor „Ghostbusters: Legacy“; und davor „Blade Runner 2049“, um nur ein paar Beispiele zu nennen.)
Die Nostalgie, die die zahllosen Remakes, Reboots und Erzähl-Universen heute bedienen, ist selbst eine Art Matrix, deren Illusionen allerdings immer weniger überzeugend wirken. Lana Wachowski, die erstmals ohne ihre Schwester Lilly Regie führt, spielt am Anfang von „The Matrix Resurrections“ noch selbstreflexiv mit dem Konzept Franchise/Matrix, wobei sich die Systemkritik mit zunehmender Dauer als zahnlos entpuppt. Das Mutter-Unternehmen Warner Brothers, Rechteinhaber des „Matrix“-Franchises, fordere eine neue Trilogie, um die Kuh weiter zu melken, erklärt der CEO seinem Star-Programmierer Thomas Anderson (Keanu Reeves) und dessen Team von Gaming-Nerds. Doch wie kann man das popkulturelle Kapital vermehren, ohne gleich die Marke zu beschädigen?
Das ist in der heutigen Kinokultur in der Tat eine spannende Herausforderung für die großen Hollywood-Studios. Lana und Lilly Wachowski hatten diese Frage eigentlich schon nach dem ersten Film von 1999 abschlägig beantwortet. Sie erklärten, dass sie keinerlei Interesse an einem Franchise haben, ließen sich dann vier Jahre später aber doch zu einem Doppel-Sequel überreden – womit das „Matrix“-Konzept erzählerisch und kreativ endgültig das Ende seines Lebenszyklus’ erreicht zu haben schien. Damals war das Prinzip Reboot noch relativ neu.
Lana Wachowski leistet sich noch einen weiteren Seitenhieb, indem sie ihr „Matrix“-Reboot eine Wiederauferstehung nennt. Am Ende von „Matrix Revolutions“ waren nicht nur Keanu Reeves’ Erlöserfigur Neo und seine Kombattantin Trinity (Carrie-Anne Moss) mausetot, sondern – kommerziell – auch das ganze Produkt. Für „Ghostbusters: Legacy“ wurde der 2014 verstorbene Original-Geisterjäger Harold Ramis digital wiederbelebt, die Grenze zwischen Reanimation und Leichenfledderei verläuft in der heutigen Franchise-Kultur fließend.
Simulierter Milchschaum in Cybercafe
18 Jahre nach den Matrix-Revolutionen, die den Sieg der versklavten Menschen über die Maschinen bedeuteten, sitzen ein paar Entwickler an einem Tisch (oder versammeln sich, ganz open office-mäßig, um eine Tischtennisplatte) und versuchen zu erklären, was eigentlich die Essenz der „Matrix“-Filme ausmacht, die Steampunk-Fans und einen Großdenker wie Slavoj Žižek gleichermaßen inspirierten. Ihre Gedanken sind so verquast wie schon vor zwanzig Jahren. Dass Thomas Anderson wieder stumpfsinnig am Schreibtisch sitzt, diesmal mit Panorama-Ausblick und umgeben von Design-Awards, deutet allerdings früh an, dass das Betriebssystem der Matrix in der Zwischenzeit ein Update erhalten hat. Für irgendwas müssen die Cloud-Computing-Farmen von Amazon und Google schließlich gut sein.
Die Ereignisse der Trilogie sind in „The Matrix Resurrections“ nur noch Flashbacks, die Anderson zu einem bahnbrechenden Videospiel inspirierten. Aber etwas macht ihn langsam verrückt: Die Vorstellung, er könne – wie seine Schöpfung Neo – fliegen, endete fast mit einem Sprung vom Wolkenkratzer; und auch die sexy Latte-Macchiato-Mutter (Carrie-Anne Moss), die ihm täglich in seinem Coffeeshop (Simulatte) begegnet, weckt Erinnerungen.
Alles nur Einbildung, meint sein Therapeut (Neil Patrick Harris) und verschreibt ihm eine weitere Ration blauer Pillen. Bis plötzlich eine junge blauhaarige Hackerin (Jessica Henwick) und eine Update-Simulation von Morpheus (Yahya Abdul-Mateen II) in seinem Büro aufkreuzt, verfolgt von einem schwer bewaffneten Einsatzkommando. An diesem Punkt wird auch die Matrix des Franchises transparent und gibt den Blick frei auf die triste Realität einer Filmindustrie, die – Selbstironie hin oder her – nicht anders kann, als Erwartungen zu bedienen, sich innerhalb vertrauter Markierungen zu bewegen und noch die verstrahlteste Cyber-Philosophie in Materialschlachten versinken zu lassen.
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Gefühlskitsch und Pseudo-Esoterik
Das Wachowski-spezifische Gemisch aus Comic-Sensibilität, Gefühlskitsch und pseudo-esoterischem Humbug war für Science-Fiction-Fans schon immer gewöhnungsbedürftig. Mit ihren letzten Arbeiten – der Tom-Tykwer-Koproduktion „Wolkenatlas“ (der hier als Soundtrack-Komponist aushilft) und der visionären Netflix-Serie „Sense8“ – deuteten die Schwestern jedoch an, dass ihnen neue erzählerische Konzepte wichtiger sind als bloßer Fan-Service.
Gerade in „Sense8“ haben sie das fluide Realitätskonzept von „Matrix“ kongenial auf kulturelle Zuschreibungen übertragen – und diese überschritten. Die Multi-Player-Logik (wie auch die Überlappung von Game- und Kino-Ästhetik) wird in „The Matrix Resurrections“ aber schnell wieder einkassiert. Es geht, wie immer in FranchiseReboots, bloß um die Erbfolge.
(In 28 Berliner Kinos, auch OmU)
Der in Würde ergraute Reeves (als John-Wick-Doppelgänger mit langen Haaren und Bart) und Moss, für deren kühle Eleganz Hollywood nie passende Rollen fand – bekommen mit Jessica Henwick und Yahya Abdul-Mateen immerhin zwei der vielversprechendsten Gesichter ihrer Generation zur Seite gestellt. Der Rest ist eine Variation bekannter Themen. Dass das „Matrix“–Konzept für die trans Frau Lana Wachowski auch auf persönliche Erfahrungen zurückgeht, merkt man allenfalls daran, dass das revolutionäre Pathos auf eine Ü-50-Liebesgeschichte zwischen Neo und Trinity eingedampft wird. Agesim kann man Wachowski, trotz vieler junger, hübscher Erbfolger (das Update von Agent Smith spielt Jonathan Groff), nicht vorwerfen.
In die Jahre gekommen sind dafür Spezialeffekte wie die verbesserte „Bullet Time“, die inzwischen schon unzählige Male parodiert wurde. Das popkulturelle Vermächtnis ist in „The Matrix Resurrections“ zur Bürde geworden.