„Die Souveränität steht bei Joachim Löw über allem“

Mit dem Testspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Dänemark an diesem Mittwoch in Innsbruck (21 Uhr, live bei RTL) beginnt für Joachim Löw die letzte Etappe seiner Amtszeit als Bundestrainer. Malik Fathi, Co-Trainer der U 23 von Hertha BSC, hat die Anfänge miterlebt. Er war im August 2006, im Freundschaftsspiel gegen Schweden in Gelsenkirchen, der erste Spieler, der unter Löw für die Nationalmannschaft debütiert hat. Im Interview erinnert er sich.

Herr Fathi, sind Sie eigentlich wirklich so cool, wie Sie nach außen wirken?

(Lacht) Das sagt man mir nach, ja. Und so bin ich auch gerne. Ich erinnere mich noch an eine Situation bei einem meiner ersten Spiele als Profi bei Hertha BSC. Da hat Hans Meyer …

… Ihr damaliger Trainer …

… meinen Puls gefühlt und meinte zu mir: „Sag mal, du bist ja viel zu ruhig fürs Spiel.“ Dabei war ich gerade unmittelbar vor einem Spiel schon nervös, aber ich glaube, ich konnte das immer ganz gut kontrollieren.

Und wie war es im August 2006, als Ihnen der neue Bundestrainer Joachim Löw gesagt hat: Mach dich bereit, du spielst nach der Pause – und damit klar war, dass Sie Nationalspieler werden?

Innerlich findet da eine Gefühlsexplosion statt. Äußerlich versuchst du, dich auf deine Aufgabe zu fokussieren und dadurch eine Balance aus Konzentration und Emotion zu finden.

Sie waren der erste Debütant unter Löw als Bundestrainer. Bei seinem Debüt wurden Sie zusammen mit Manuel Friedrich zur zweiten Halbzeit eingewechselt. Wie haben Sie diese Momente in Ihrer Erinnerung abgespeichert?

Am beeindruckendsten ist ja die Nominierung an sich: dass du überhaupt eingeladen wirst und zur Nationalmannschaft reisen darfst. Das war krass. Und geil. Wenn du schon mal dabei bist, dann rechnest du natürlich auch damit, dass du zum Einsatz kommst. Es war ja kein superwichtiges Qualifikationsspiel, sondern ein Freundschaftsspiel gegen Schweden. Deshalb hatte ich auf jeden Fall die Hoffnung, dass meine Anwesenheit wenigstens mit ein paar Minuten Spielzeit belohnt wird.

Wissen Sie noch, wie es konkret abgelaufen ist?

Ich muss gestehen, dass die Erinnerungen inzwischen sehr blass sind. Ich weiß noch, wie ich mit Jogi Löw an der Seitenlinie stehe. Aus dem Spiel selbst habe ich noch zwei, drei Szenen in Erinnerung. Eine Flanke, die ich recht punktgenau auf Tim Borowski geschlagen habe. Und eine Grätsche an der Seitenlinie, mit der ich den Ball gewinne.

Es war also nicht so, dass Löw Ihnen bei der Einwechslung gesagt hat: „Zeig der Welt, dass du besser bist als Marcell Jansen“?

Nein, dann wäre er ja parteiisch gewesen. (lacht) So, wie ich Joachim Löw kennengelernt habe, wird er mir viel Glück gewünscht haben. Er freut sich einfach für dich, dass du dabei bist, und gibt dir das Gefühl, dass es schon in Ordnung ist, Teil der Mannschaft zu sein.

Gab es nach dem Spiel noch Feedback von ihm?

Nein, es war nicht so, dass er mit mir eine individuelle Analyse gemacht hat. In der Pressekonferenz hat er über mich gesagt: Gut reingekommen, gute Rolle gespielt. Das war’s eigentlich. Aber das ist auch legitim. Mehr war in dem Moment nicht notwendig.

Sie sind damals für Christoph Metzelder nachnominiert worden. Das heißt, die Einladung kam relativ kurzfristig.

Ja, das war gefühlt vom einen auf den anderen Tag. Wenn ich mich recht erinnere, war die Nationalmannschaft im Hyatt am Potsdamer Platz untergebracht. Da bin ich dann hin.

Das Team hatte sich in Berlin versammelt, weil es vom Bundespräsidenten für den dritten Platz bei der WM im eigenen Land mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet wurde. Wie haben Sie dieses Turnier erlebt?

Das Turnier war eine glatte Eins. Das Land ist damals von einer Emotionswelle erfasst worden, die nach den Schwierigkeiten vor der WM so nicht zu erwarten war. Eine Eins mit Sternchen wäre es gewesen, wenn die Mannschaft Weltmeister geworden wäre. Aber auch ohne den Titel ist eine Rieseneuphorie entstanden, die Deutschland und auch der Nationalmannschaft gutgetan hat. Ich habe mich auch mal unters Volk gemischt und mir die Spiele beim Public Viewing angeschaut. Das hatte fast schon was von Stadionatmosphäre.

Ein paar Wochen später waren Sie selbst Teil dieser Mannschaft.

Das war schon ein bisschen surreal, auch weil ich damals gefühlt nicht meine beste Phase hatte. In den Jahren davor habe ich mich eigentlich wesentlich stärker gesehen. Aber manchmal ist das so im Fußball. Vielleicht war ich schon länger auf dem Zettel, aber es hat einfach nicht gepasst. Dann fällt jemand aus, und auf einmal ruft der Bundestrainer dich an. Für mich war es eigentlich nicht greifbar, dass es passiert und dann auch noch so schnell. Deswegen: Eine sehr schöne Überraschung.

Malik Fathi (r.), 37, ist im Sommer 2019 als Co-Trainer von Andreas “Zecke” Neuendorf zur U 23 von Hertha BSC gekommen. Nach…Foto: imago images/Eibner

Manuel Friedrich hat im Herbst 2006 gesagt, er habe das Gefühl, als wäre er auch schon bei der WM dabei gewesen.

Das hatte ich nicht. Dazu bin ich zu pragmatisch.

Er meinte wohl die Atmosphäre innerhalb der Mannschaft.

Das war wirklich so. Ich bin auch super aufgenommen worden und hatte nie das Gefühl: Da gibt es eine Gruppe im Team, die hat gerade eine geile WM gespielt, und dann kommst du da als kleener Berliner Junge an, und die gucken erst einmal von oben auf dich herab. Du warst direkt integriert. Das spricht einfach auch für den Spirit in dieser Mannschaft. Für mich war das einfach noch mal ein anderes Level, als ich es aus dem Verein gewohnt war. Und zwar in allen Bereichen. Von der Struktur, der Professionalität, der Qualität, im Training, aber auch im Spiel, vom Umgang in der Mannschaft. Da sitzt dann ein Michael Ballack, der einfach eine brutale Ausstrahlung hat. Und trotzdem gehen alle herzlich miteinander um.

Joachim Löw ist nach der WM vom Co- zum Cheftrainer befördert worden. Bei Ihnen war es in der gerade abgelaufenen Saison bei der U 23 von Hertha BSC ähnlich. Wie kompliziert ist eine solche Situation?

Ich habe Jogi Löw als Co-Trainer ja nicht erlebt. Aber nach allem, was man weiß, glaube ich, dass das bei ihm ein nahtloser Übergang war. Vieles von dem, was er als Cheftrainer gemacht hat, hatte er auch vorher schon unter Jürgen Klinsmann gemacht, die Trainingsinhalte festlegen zum Beispiel. Außerdem hatte er vor seiner Zeit bei der Nationalmannschaft schon als Cheftrainer gearbeitet. Es geht dann um den eigenen Führungsstil und darum, dass du derjenige bist, der die Entscheidungen treffen musst. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm das schwergefallen ist. Ich finde, er hat einen Top-Job gemacht.

Sie lachen.

Ja: Wer bin ich denn, dass ich das beurteile? Unter Löw hat die Nationalmannschaft immer oben mitgespielt, bis auf ein einziges Turnier. Trotzdem wird nach einer Phase, in der es mal nicht so gut läuft, gleich die ganze Ära in Frage gestellt. Das begreife ich nicht. Wenn man sich Löws Bilanz über 15 Jahre anschaut, kann ich nur sagen: Chapeau. Die Konstanz auf diesem Level – beeindruckend!

Wie haben Sie seinen Führungsstil erlebt?

Sehr sachlich. Sehr ruhig. Man darf aber nicht vergessen: Das ist nur eine Momentaufnahme. Ich habe Löw bei keinem großen Turnier erlebt, ich habe ihn nicht in brisanten Qualifikationsspielen erlebt. Jemand wie Philipp Lahm, der über Jahre mit ihm zusammengearbeitet hat, könnte da mit Sicherheit mehr ins Detail gehen.

Was hat Löw ausgezeichnet?

Taktisch und inhaltlich ist er brutal stark, rhetorisch gut, dazu hat er die Dinge einfach sachlich rübergebracht. Trotzdem hast du immer eine gewisse Energie gespürt. Er ist nicht einlullend. Jogi Löw hat dir ganz klar zu verstehen gegeben: Wie ist unsere Idee? Wie wollen wir spielen? Und was muss dafür umgesetzt werden? Man merkt einfach: Er ist sehr sicher. Sehr souverän. Vielleicht beschreibt ihn das am besten. Er weiß, was er tut, er hat sehr viel Wissen, ist inhaltlich sehr stark und dementsprechend auch souverän in der Übermittlung.

Für einen Trainer geht es immer auch darum, das richtige Verhältnis aus Nähe und Distanz zu seinen Spielern zu finden. Wo hat Löw sich da positioniert?

Das ist ein wichtiger Punkt. Das merke ich selbst gerade. Ich bin eher jemand, der sehr nah an den Spielern dran ist. Joachim Löw ist schon eher der Trainer. Er albert nicht mit den Spielern herum. Das heißt nicht, dass er nicht auch mal lacht oder schmunzelt. Aber bei ihm ist schon klar: Hier der Trainer, da die Mannschaft. Und trotzdem ist er empathisch, auf seine sachliche Art.

Man findet eigentlich kaum einen Spieler, der etwas Schlechtes über ihn sagt.

Er bietet ja auch nicht viel Angriffsfläche. Du kommst in eine Mannschaft, die funktioniert. Der Trainer ist nicht egozentrisch, sondern hat eine ganz ruhige, souveräne Ausstrahlung. Dazu hat die Nationalmannschaft unter Löw immer auf einem Toplevel gespielt. Das heißt, als Spieler ist es einfach geil, für die Nationalmannschaft zu spielen: Da läuft der Ball, und du bist die Mannschaft, die das Spiel dirigiert. Und das seit inzwischen 15 Jahren, eigentlich mit Beginn der Ära Löw. Davor gab es ja auch ein paar Jahre, in denen es nicht ganz so war. Wo sollte man da mit Kritik ansetzen?

Nach Ihrem Debüt sind Sie nur noch einmal, im Oktober 2006 in einem Freundschaftsspiel gegen Georgien, für ein paar Minuten in der Nationalmannschaft zum Einsatz gekommen. Wann war Ihnen klar, das war es jetzt mit meiner Länderspielkarriere?

Als ich nicht mehr eingeladen wurde (lacht). Im Herbst 2006 war ich eigentlich immer dabei, in der Rückrunde ist es dann abgebrochen. Vielleicht gibt es den einen oder anderen Spieler, der mal versucht nachzufragen, was eigentlich los ist. Das habe ich nicht gemacht. Wenn du nicht mehr nominiert wirst, wird das schon seine Gründe haben. Das war’s dann halt.

Hatten Sie noch mal Kontakt zu Löw?

Nicht wirklich. Als ich in Mainz gespielt habe, habe ich ihn noch mal gesehen. Aber über ein bisschen Smalltalk – Mensch, wie geht’s – ist das nicht hinausgegangen. Mit Hans-Dieter Hermann, dem Sportpsychologen der Nationalmannschaft, habe ich noch ein paar Mal geredet, weil mich das Thema Psychologie im Fußball einfach brutal interessiert.

Löws weiteren Werdegang haben Sie nur aus der Ferne verfolgt. Hat er sich verändert?

Ich maße mir nicht an, ihn charakterlich zu beschreiben oder zu beurteilen. Dafür kenne ich ihn nicht gut genug. Wenn ich die Momente nehme, in denen ich ihn erlebt habe, dann kann ich nur sagen, dass er sich und seinem Stil treu geblieben ist. Wie er in stressigen Situationen mit Kritik umgeht – das beschreibt einfach seine Coolness. Souveränität steht bei ihm irgendwie über allem. Das hat ihn ausgezeichnet: in guten Phasen, in Weltklasse-Phasen, aber auch in weniger guten Phasen.

Trotzdem hat er vor allem seit der WM 2018 viel Kritik abbekommen.

Was will man jemandem vorwerfen, der in all den Jahren mit der Nationalmannschaft immer ums Halbfinale und Finale kreist? Und in dem Fall dann eben nicht. Das ist die negative Aura, die der Fußball manchmal mit sich bringt. Wenn es mal nicht so läuft, will jeder seine Expertise kundtun.

Nach der EM übernimmt Hansi Flick die Nationalmannschaft. Wie haben Sie ihn in Ihrer kurzen Länderspielkarriere erlebt?

Als sehr angenehmen, sympathischen und sehr nahbaren Menschen. Hans Flick ist jemand, bei dem du ein gutes Gefühl hast. Einer, der zuverlässig arbeitet, aber das immer mit einem Lächeln.

Ist Flick die richtige Wahl für Löws Nachfolge?

Wenn man sich seine Erfolge bei den Bayern anschaut, ist die Entscheidung absolut richtig. Vor dem, was Hansi Flick bei den Bayern geleistet hat, vor seiner Qualität, kann man nur den Hut ziehen. Wenn er es hinkriegt, diese Qualität auf die Nationalmannschaft zu übertragen, werden wir sehr viel Spaß mit der Nationalmannschaft haben.