Robert Lewandowski bekennt Farbe
Nur gut 15.000 der 100.000 Plätze waren im Nationalstadion von Chile besetzt, und die wenigen Zuschauer, die sich eingefunden hatten, wurden auch noch um das Erlebnis eines richtigen Fußballspiels gebracht. Dafür wurden sie an diesem 21. November 1973 Zeuge eines seltsamen und bis heute beispiellosen Schauspiels.
Der österreichische Schiedsrichter Erich Linemayr hatte das WM-Qualifikationsspiel zwischen Chile und der UdSSR gerade erst angepfiffen, da musste er es auch schon wieder beenden. Dazwischen lag Chiles 1:0 durch Kapitän Francisco Valdes. Die Fortsetzung scheiterte daran, dass von sowjetischen Spielern niemand den Wiederanstoß ausführen konnte – weil von den sowjetischen Spielern niemand auf dem Rasen stand.
Nach dem 0:0 im Hinspiel in Moskau hatte sich die UdSSR wegen des Militärputsches von Augusto Pinochet und nach dem Sturz des chilenischen Staatschefs Salvador Allende geweigert, in Santiago anzutreten. Chile gewann das vermutlich kürzeste Spiel der Fußballgeschichte mit 1:0 und qualifizierte sich dadurch für die Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik Deutschland.
Vielleicht wiederholt sich dieser Fall nun in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft, die Ende des Jahres in Katar ausgetragen wird. Und vielleicht sind diesmal die Russen die Profiteure. Ihr Team soll Ende des kommenden Monats im Play-off-Halbfinale in Russland gegen Polen antreten. Doch genau das wollen die Polen nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine nicht.
„Schluss mit Worten, es ist Zeit zum Handeln!“, twitterte Cezary Kulesza, der Präsident des polnischen Verbandes PZPN, am Samstag. „Im Zusammenhang mit der Eskalation der Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine wird die polnische Nationalmannschaft kein Play-off-Spiel gegen das russische Team spielen. Das ist die einzige anständige Entscheidung.“
Unterstützung erhielt Kulesza vom prominentesten Spieler des polnischen Teams: von Robert Lewandowski, dem Stürmer des FC Bayern München.
Wenige Stunden vor dem Auswärtsspiel der Bayern bei Eintracht Frankfurt schrieb er, ebenfalls bei Twitter: „Das ist die richtige Entscheidung! Ich kann mir nicht vorstellen, ein Spiel gegen das russische Nationalteam in einer Situation zu spielen, wenn die bewaffnete Aggression in der Ukraine weiter geht.“ Die russischen Fußballer seien nicht für diese Situation verantwortlich, „aber wir können nicht so tun, als ob nichts passiert“.
Im Interview mit dem TV-Sender Sky nach dem 1:0-Sieg der Bayern in Frankfurt präzisierte Lewandowski seine Sicht. „Ich dachte nicht, dass das passiert. Das tut weh“, sagte er über den Krieg in Europa. Und mit Blick auf das mögliche Play-off-Duell gegen Russland: „Ich kann mir nicht vorstellen, in einem Monat auf den Platz zu gehen und zu vergessen, was gerade passiert.“
Putins Überfall zwingt den Fußball, Farbe zu bekennen
Der Sieger des Halbfinales Russland gegen Polen soll gegen den Sieger der Partie Schweden gegen Tschechien um einen von noch drei zu vergebenen Plätzen für die WM-Endrunde in Katar antreten. Die Verbände aus Polen, Schweden und Tschechien hatten bereist angekündigt, dass sie sich weigern würden, zu Play-offs in Russland anzutreten. Jetzt schlossen erst die Polen und wenig später auch Schweden sogar in Spiel gegen Russland aus. Der schwedische Verband forderte den Weltverband Fifa auf, die Ausscheidungsspiele mit russischer Beteiligung Ende März abzusagen. „Aber unabhängig davon, wie sich die Fifa entscheidet, werden wir im März nicht gegen Russland spielen“, sagte Verbandschef Karl-Erik Nilsson. Die Fifa hat darauf noch nicht reagiert.
Putins Überfall auf die Ukraine zwingt auch den Fußball, Farbe zu bekennen. Während die internationalen Verbände damit erwartungsgemäß ihre Probleme haben, die Fifa sogar hofft, dass sich das Problem bis zu den Play-offs für die WM erledigt hat, tun die meisten Vereine in Deutschland und Europa dies auch.
In der Bundesliga gab es vor den Begegnungen des 24. Spieltags eine Schweigeminute für die Menschen in der Ukraine.
„Wir verurteilen den Angriff auf die Ukraine – und damit auf das Leben und die Heimat unschuldiger Menschen“, hatte die Deutsche Fußball-Liga mitgeteilt. „Krieg ist in jeder Form inakzeptabel – und mit unseren Werten des Sports unvereinbar. Unsere Sorge gilt den betroffenen Menschen vor Ort.“
Vor dem Spiel am Freitag posierten die Spieler der TSG Hoffenheim und des VfB Stuttgart mit einem gemeinsamen Banner, auf dem zu lesen war: „Stop War – Wir gegen Krieg“. In der Zweiten Liga verzichtete Hannover 96 vor der Partie gegen Kiel auf den üblichen Einlaufsong. Stattdessen wurde „Imagine“ von John Lennon gespielt.
In Frankurt, beim Spiel gegen die Bayern, stand „Stop it, Putin“ auf dem Videowürfel. Auch Robert Lewandowski setzte noch einmal ein Zeichen. Weil Manuel Neuer und Thomas Müller fehlten, lief er bei den Bayern als Kapitän auf. Mit einer Binde in den Landesfarben der Ukraine. (mit dpa)