Große Liebe, schlimme Momente

Diktaturen haben eine besonders perfide Methode erfunden, um Menschen loszuwerden, die ihnen gefährlich werden könnten: den Rausschmiss. Der bürokratische Ausdruck dafür lautet Ausbürgerung. Die DDR trennte sich auf diese Weise auch von vielen Künstlerinnen und Künstlern, die einmal an den Sozialismus geglaubt und für ihn gekämpft hatten. Nur eben für einen anderen, menschenfreundlichen Sozialismus.

Das erste Wort, das Eva-Maria Hagen zu ihrer Ausbürgerung einfiel, war Schmerz. In einem Interview hat sie erzählt, wie sie 1977 die DDR verließ, zu Fuß unterwegs zum Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße. „Einige Freunde begleiteten mich. Sie rempelten sich mit den Stasi-Leuten, die unterwegs herumschwirrten, und ab einem bestimmten Punkt durfte mein Trupp nicht weiter mit. Ein schlimmer Moment!“ Ihr Gepäck wurde durchsucht, sie musste zur Leibesvisitation in eine Kabine. Am Ende verabschiedete sie ein Grenzbeamter mit linientreuem Sarkasmus: „Erledigt. Sie dürfen gehen, Sie sind hier unerwünscht!“ Hagen entgegnete: „Sie irren.“ Weil sie Freunde habe, die auf sie warten würden.

Berühmt geworden mit dem Debütfilm

Eva-Maria Hagen hatte es früh zum Kinostar und Publikumsliebling gebracht. Man nannte sie die “Brigitte Bardot der DDR”. Bekannt geworden war sie gleich mit ihrem ersten Film „Vergesst mir meine Traudel nicht“ (1957), einer von Kurt Maetzig inszenierten Komödie. Ihre Traudel war rotzig und schlagfertig, ein Mädchen, das aus einem Jugendheim abhaut, von einem Motorradfahrer nach Berlin mitgenommen wird und sich dort in einen Polizisten verliebt. Die Schauspielerin trat im Defa-Spionagethriller „For Eyes Only“ und im Liebesmärchen „Die Legende von Paul und Paula“ auf, drehte „Polizeiruf“-Folgen und die vierteilige Fallada-Verfilmung „Wolf unter Wölfen“ fürs DDR-Fernsehen.

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Hagen, die 1934 jenseits der Oder im heutigen Polen geboren wurde, hatte eine Lehre zur Maschinenschlosserin absolviert, bevor sie ein Schauspielstudium in Ost-Berlin begann. Bertolt Brecht holte sie 1953 für das Dorfdrama „Katzgraben“ ans Berliner Ensemble. Später nannte sie ihn „eine Art Vaterfigur“, er habe ihr am Theater die Richtung gewiesen. Sie wechselte ans Maxim-Gorki-Theater, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Fernsehfunk-Ensembles.

Fünf Jahre war sie mit dem Drehbuchautor Hans Oliva-Hagen verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter Nina Hagen war als Sängerin schon in der DDR ein Rockstar, danach auch in Westdeutschland – und dem Rest der Welt. Eva-Maria Hagen hat drei Autobiografien geschrieben, die erste heißt „Eva und der Wolf“.

Abgehört in der Chausseestraße

Es ist die Geschichte von Eva-Maria Hagen und Wolf Biermann, eine Liebesgeschichte, die zum politischen Drama wird. Sie lernt den Liedermacher 1965 kennen, kurz bevor das 11. Plenum der SED ein Auftritts- und Publikationsverbot über ihn verhängt. Ihre Wohnung in der Chausseestraße 131 wurde von der Stasi verwanzt. Die Agenten hören nicht nur mit, wenn Biermann und Hagen mit Dissidenten diskutieren, sie vermerken in ihren Protokollen auch: „Es findet Geschlechtsverkehr statt“. Hagen wird ausgebürgert, weil sie gegen die Ausbürgerung von Biermann protestiert hat. Ein Liebespaar waren sie bis 1972.

Vom Bahnhof Friedrichstraße führt ihr Weg nach Hamburg. Sie beginnt eine Karriere als Sängerin, dreht Fernsehserien wie “Soko Wismar” und “Pfarrr Braun”, Kinofilme wie Leander Haußmanns Senioren-Komödie „Die Dinosaurier“ und das herausragende Kriegs- und Nachkriegsdrama “Lore”. Am Dienstag ist Eva-Maria Hagen gestorben, wie das Management ihrer Tochter Nina Hagen mitteilte. Sie wurde 87 Jahre alt.