Die Macht des Schicksals: Silvester mit den Berliner Philharmonikern
Was will man eigentlich hören am Ende eines Jahres, am Ende dieses Jahres? Beethovens Neunte wird wieder landauf, landab gespielt. Christian Thielemann dirigiert sie beim Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden, das vom ZDF bereits am Abend des 29. Dezember ausgestrahlt wurde.
Aus der Mediathek kann die Aufzeichnung abrufen, wem nach per aspera ad astra zumute ist. Die Anstrengungen, um zu „Freude, Freude“ vorzudringen, sind gewaltig. Bei Beethoven singt der Chor selbst im Jubel noch in unbequemer Lage, und das Orchester hat seine Aggression keineswegs eingestellt.
Die Berliner Philharmoniker ringen Jahr für Jahr darum, ihrem Publikum an den drei letzten Abenden des Jahres in der Philharmonie ein Programm zu bieten, mit dem sich das Orchester unterhaltsam und in Topform präsentiert. Gleichzeitig geht dieser Silvestergruß via Digital Concert Hall, Kino, Radio und Arte TV hinaus in die Welt, will also auch auf der anderen Seite des Globus noch begeistern.
Dieser Spagat hat in der Vergangenheit nicht immer zu glücklichen Arrangements geführt. Oft sah die um seriöse Lockerheit bemühte Klassik älter aus, als sie im Herzen ist.
Dieses Jahr verbringt Jonas Kaufmann, ein hart arbeitender Sänger auf den Bühnen der Welt, den Jahreswechsel in Berlin. Kaufmann liefert immer zuverlässig, entdeckt nebenbei neue Rollen und singt zu seiner Tenorlage auch noch Baritonpartien wie der späte Domingo.
Doch es ist nicht nur der Marktwert, der zu seinem Silvester-Engagement geführt hat. An der Münchner Staatsoper haben Kirill Petrenko und Jonas Kaufmann 40 Abende zusammen musiziert, mit dem Philharmoniker-Chef hat der Startenor sich auf Neuland gewagt. Das verbindet.
Am ersten Konzertabend, zwei Tage vor dem Jahreswechsel, ist Kaufmann ein herausforderndes Jahr durchaus anzumerken. Zum Auftakt spielen die Philharmoniker die Ouvertüre zu Verdis „La forza del destino“ in einer Schärfe, wie man sie an Opernhäusern nie zu hören bekommt. Knappe acht Minuten Unentrinnbarkeit, inmitten der hochschlagenden Wellen die zarteste Unschuld.
Ein Malstrom von einem Trauermarsch
Dann steht da ohne alle Insignien eines Starauftritts Jonas Kaufmann und will sterben: „La vita è inferno all’infelice.“ Seine Stimme schluchzt, schmirgelt, legt jene Unangreifbarkeit ab, die ihren Ruf begründet hat. Danach der Tod auf offener Bühne, Kaufmann hat eine selten zu hörende Arie aus Zandonais „Giulietta e Romeo“ mitgebracht, haucht als Romeo sein Leben aus und hustet danach in die Faust. Ein gut platzierter Hinweis darauf, dass hier mehr Brüchigkeit im Spiel war als beabsichtigt.
Und dann rast das gerade noch mitfühlend begleitende Orchester los und stürzt sich in „Tybalds Tod“ aus Prokofjews Suite „Romeo und Julia“: Petrenko zeigt mit brillanter Vehemenz, wie sich aus einem übermütigen Spiel ein Malstrom von einem Trauermarsch entwickelt, der noch vieles mit sich reißen wird.
Diese Dramaturgie wiederholt sich in der zweiten Hälfte des Abends. Kaufmann berührt mit der Arie des Turiddu aus „Cavalleria rusticana“, die Musikerinnen und Musiker sausen durch Tschaikowskys „Capriccio italien“. Bei der Zugabe, Nino Rotas „Parla piu piano“ aus dem Film „Der Pate“, erreicht Kaufmann mit souverän projizierter mezza voce auch den letzten Platz in der Philharmonie. Dass danach die Philharmoniker nochmals mit Schostakowitsch aufschäumen, hätte es gar nicht gebraucht.
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