Für Rune Jarstein gibt es wohl keine Zukunft mehr bei Hertha BSC
Ziemlich genau sieben Wochen ist es her, dass Rune Jarstein seinen mutmaßlich letzten emotionalen Moment bei und mit Hertha BSC erlebt hat. Zumindest dachten das viele.
Vor sieben Wochen feierte der Torhüter aus Norwegen nach 468 Tagen Pause – nach Coronainfektion und Intensivstation, nach Herzmuskelentzündung und Knieverletzung – im Testspiel gegen Babelsberg 03 sein Comeback auf dem Fußballplatz.
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Der ganze Klub freute sich mit dem 37-Jährigen, die Fans feierten ihn, und wenn Jarstein für die anstehende Saison schon nicht die Nummer eins bei Hertha BSC sein würde, dann immerhin die Nummer eins der Herzen.
Am Freitag, einen Tag vor Herthas wichtigem Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt, ist es offenbar wieder ziemlich emotional geworden. Und wieder stand Rune Jarstein im Zentrum des Geschehens.
Die genauen Abläufe sind bisher öffentlich nicht bekannt, weil sie sich beim nicht-öffentlichen Abschlusstraining zugetragen haben. Die „Bild“-Zeitung berichtete jedoch, dass sich Jarstein über die Arbeit von Torwarttrainer Andreas Menger beschwert habe und daraufhin aus dem Kader für das Spiel gegen die Frankfurter gestrichen wurde.
Erledigt ist die Sache damit offenbar noch nicht.
Getrübte Freude nach dem ersten Punkt der Saison
„Dass es rausgekommen ist, ist schade“, sagt Fredi Bobic am Sonntag am Rande des Trainingsplatzes. Die Ersatzspieler trainieren, Jarstein ist nicht dabei. Und dass er noch einmal zurückkehrt, ist trotz seines noch bis Ende der Saison laufenden Vertrages unwahrscheinlich. „Normalerweise nicht“, sagt Herthas Sportgeschäftsführer Bobic.
Eigentlich hätte alles so schön sein können. Am Vortag hat Hertha BSC gegen den Europa-League-Sieger Frankfurt mit dem 1:1 den ersten Punkt der Saison ergattert. Vor allem hat die Mannschaft hat nach den beiden Auftaktniederlagen eine deutliche Leistungssteigerung gezeigt.
Doch statt einmal tief durchzuatmen und sich zu freuen, sieht sich Fredi Bobic am nächsten Morgen schon wieder zur Krisenintervention in Form einer improvisierten Medienrunde genötigt.
„Es ist etwas vorgefallen, das sicher nicht der Tagesordnung entspricht. Das war schon ein bisschen heftiger“, sagt er. „Ich kann schwer verstehen, dass man so agiert. Und dann auch noch einen Tag vor dem Spiel.“
Ob und wie Jarstein Torwarttrainer Menger angegangen ist, dazu äußert sich Bobic nicht. Nur dies: „Die Art und Weise, die Tonalität und die Sprache waren komplett falsch.“ Deshalb habe es aus Vereinssicht keine Chance gegeben, die Situation noch zu retten: „Ohne Disziplin funktioniert eine Fußball-Mannschaft nicht. Sonst haben wir die wilde Sau hier.“
Am Freitag hat Bobic mit Jarstein geredet und ihm mitgeteilt, dass er gegen Frankfurt nicht im Kader stehen werde. „Es war keine Entscheidung des Trainers, sondern meine Entscheidung“, sagt Herthas Sportchef. Jarstein ist derzeit freigestellt. Weitere Gespräche mit ihm und seinem Berater soll es in Kürze geben, teilt Bobic mit. „Es ist schade, weil es eine Person trifft, die schon sehr lange hier ist“, sagt er.
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Aus dem aktuellen Kader ist nur Peter Pekarik noch länger in Berlin als der Norweger. Seit acht Jahren spielt Jarstein für Hertha BSC, 178-Mal ist er für den Klub zum Einsatz gekommen, zuletzt in der Saison 2020/21, als ihn Pal Dardai nach seiner Rückkehr auf die Trainerbank im Abstiegskampf etwas überraschend wieder zur Nummer eins machte. Kurz darauf infizierte sich Jarstein bei einer Reise zur norwegischen Nationalmannschaft mit dem Coronavirus.
„Uns ist bewusst, welche Verdienste er für den Klub hat“, sagt Bobic. „Aber wir haben sehr viel für ihn gemacht im letzten Jahr, damit er wieder auf die Beine kommt.“ In dieser Saison war für Jarstein die Rolle als zweiter Torhüter hinter dem jungen Oliver Christensen, 23, vorgesehen – und die eines Mentors für die Talente Tjark Ernst, 19, und Robert Kwasigroch, 18.
Ob Jarstein mehr wollte, ob er mit der Entscheidung für Christensen nicht einverstanden war? Da er sich bisher nicht geäußert hat, ist das reine Spekulation.
Braucht Hertha BSC noch einen neuen Torhüter?
Der Norweger, eigentlich ein ruhiger und gelassener Zeitgenosse, hat in seiner Zeit bei Hertha immer wieder Phasen erlebt, in denen er nicht die Nummer eins war. Trotzdem hat er nie vernehmbar gemurrt. Das macht seinen Ausbruch umso geheimnisvoller – und lenkt den Blick auf das Verhältnis zu Andreas Menger, der vor der vergangenen Saison aus Köln zu Hertha gekommen ist.
Die Beziehung zwischen einem Torhüter und seinem Trainer ist immer eine spezielle. Jarstein hat bei Hertha vor allem von der Zusammenarbeit mit Zsolt Petry profitiert. Ein neuer Torwarttrainer setzt andere Schwerpunkte, hat neue Ideen und Methoden – ist für den Torhüter aber auch mit einer Umstellung verbunden.
„Natürlich kann jemand wie Rune Jarstein mit seinen 37 Jahren mal sagen, er brauche eine bestimmte Übung, weil sie ihm guttut. Kein Thema. Wird gemacht“, hat Menger in der Vorbereitung in einem Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. „Aber es ist nicht so, dass unsere Torhüter bestimmen, was und wie wir trainieren.“
Zweieinhalb Wochen sind es noch, bis die Transferperiode endet. Herthas Kader ist noch lange nicht fertig, und jetzt könnte auch noch die Suche nach einem neuen Torhüter auf Sportchef Bobic zukommen. „Mit dem Thema habe ich mich null beschäftigt“, sagt er. Weil der Klub sich gut aufgestellt sah: mit Jarstein als erfahrener Nummer zwei und zwei motivierten und hoffnungsvollen Talenten dahinter. Seit Freitag aber ist alles anders.