„The Painted Bird“ zeigt den Zweiten Weltkrieg als zynisches Gemetzel
Der wimmernde Mann lehnt am Baum, seine Augenhöhlen sind leer und blutig. Ein Junge hält die beiden Augäpfel in seiner Hand, er hat sie vom Boden der Hütte aufgelesen, in der der alte Müller, gespielt von Udo Kier, sie seinem vermeintlichen Rivalen in einem Anfall von Eifersucht mit einem Löffel rausgepult hat. Langsam nähert sich der etwa Zehnjährige dem Verletzten – und drückt ihm beim Abschied die losen Augen in einer hilflosen und darin umso bizarreren Geste des Mitgefühls in die Hand.
Mehr Nächstenliebe haben die Figuren in Václav Marhouls dreistündigen Kriegsdrama „The Painted Bird“ nicht zu erwarten. Es ist eine hässliche Welt, durch die der tschechische Regisseur den namenlosen Jungen auf seiner Odyssee begleitet, aber immerhin ist sie dank Kameramann Vladimír Smutný in wertiges Schwarzweiß getaucht – eine Arthouse-Konvention.
Sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Marhoul, basierend auf Jerzy Kosinskis berüchtigtem Roman aus den sechziger Jahren, ein Elendspanorama aus Gewalt, Sadismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Pädophilie und Sodomie inszeniert.
Unterteilt in Kapitel, jeweils nach den Personen benannt, denen der Junge begegnet, stellt sich nach einer guten Stunde ein dumpfer Rhythmus ein, der das Empathievermögen des Publikums sukzessive abstumpfen lässt.
Vor zwei Jahren wurde „The Painted Bird“ auf dem Filmfestival in Venedig mit reserviertem Respekt aufgenommen. Fraglos ist Marhoul vom ungarischen Altmeister Bela Tarr inspiriert, aber was einem sein Film über das Wesen des Krieges, des Zweiten Weltkrieges, sagen will, bleibt plakativ: Die Welt ist schlecht, es gibt keinen Ausweg. Dieser Fatalismus ist untermalt von einem gewissen Sadismus in der Mise-en-Scène, weil jeder Anflug von Hoffnung von einer noch größeren Niedertracht übertroffen wird.
Man durchschaut dieses Spiel mit den Erwartungen sehr schnell, aber der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Sieht der Junge einen leeren Brunnen mit Hunderten von Ratten, ist klar, welches Schicksal dem Sohn des von Harvey Keitel gespielten Priesters blüht. Auch der Anblick einer Ziege, hat man sich erst auf die zynische Logik des Regisseurs eingestellt, lässt kaum Zweifel daran, wie das Kapitel enden wird.
[In den Kinos Intimes, Tilsiter Lichtspiele, Brotfabrik (OmU)]
Dieses Muster über drei Stunden durchzuziehen, zeugt vielleicht von der Konsequenz des Regisseurs, erzeugt aber nur Redundanz. Niemand bleibt in „The Painted Bird“ verschont, weder Vogel noch Pferd – oder Baby. Elem Klimows „Komm und sieh“ mag Pate gestanden haben, nur dass Marhouls Weltsicht undurchdringlich bleibt; unfähig, den Menschen einen Rest Würde zu lassen.
Man wundert sich, was an seinem Skript internationale Stars wie Keitel und Kier, aber auch Stellan Skarsgård, der einen Nazi-Offizier spielt (der noch am ehesten menschliche Regungen zeigt), und Barry Pepper dazu bewogen hat, hier mitzumachen. Filmkunst kann es nicht gewesen sein.