Krisenkontinent zur Prime Time

Der Autor promovierte an der Technischen Universität Dortmund zum Afrikabild der „Tagesschau“. Die Dissertation erscheint Ende des Jahres im Logos Verlag Berlin.

Eine der interessantesten Betrachtungen zu hiesigen Afrikabildern lässt sich im Netz nachhören. Die Rede der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie aus dem Jahr 2009 zählt inzwischen mehr als 27 Millionen Aufrufe. Sie beschreibt dort persönliche Erfahrungen mit Stereotypen gegenüber ihrem Heimatkontinent. Westliche Vorstellungen von Afrika seien geprägt von einer „Single Story of Catastrophe“, dem unhinterfragten Narrativ eines ganzen Erdteils als Katastrophengebiet, so Adichie.

Tatsächlich herrschen entsprechende Vorstellungen in Deutschland und Europa vor: Verschiedenen Bevölkerungsumfragen zufolge verbinden wir den Kontinent in erster Linie mit Hunger, Armut und Konflikten. Zentral für solche Ansichten sind Informationen aus den Massenmedien, da diese breite Zielgruppen erreichen.

Wie das Fernsehen über Afrika berichtet, thematisiert eine kürzlich verteidigte Dissertation an der Technischen Universität Dortmund zur Afrikaberichterstattung der ARD-„Tagesschau“. Untersucht wurde eine repräsentative Stichprobe aus knapp 1800 Nachrichten über Afrika, die zwischen 1952 und 2018 in der 20-Uhr-Ausgabe der ARD ausgestrahlt worden sind.

Die Analyseergebnisse zeigen: Erstens wird der Kontinent weitgehend vernachlässigt, zweitens liegt der thematische Schwerpunkt auf Krisen und Konflikten. Weniger als vier Prozent aller „Tagesschau“-Nachrichten befassen sich mit Afrika. Am intensivsten berichtet wird in den 1960er-Jahren – über zentrale Schlüsselereignisse wie die afrikanische Unabhängigkeitswelle, Algerien-, Kongokrise und Nahost-Konflikt.

Anschließend fristet das Thema Afrika ein nachrichtliches Nischendasein, das über Jahrzehnte hinweg anhält. Es endet, zumindest kurzfristig, im Jahr 2011, als mit dem Arabischen Frühling erneut ein Schlüsselereignis Teile des Kontinents in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt.

Die wenigen Nachrichten wiederum behandeln zu mehr als 60 Prozent Krisen, Kriege, Katastrophen, Konflikte, Korruption, Krankheiten und Kriminalität – also sogenannte K-Themen. Im Trend steigen deren Anteile bis in die 1990er-Jahre deutlich an. Seither nehmen zwei Drittel aller Beiträge ausschließlich solche Perspektiven ein.

Von Hungersnöten in Ostafrika über Diktaturen im Stile Joseph Mobutus und Idi Amins, Apartheid, Aids, Ebola, Naturkatastrophen bis hin zur Angst vor tatsächlichem oder möglichem Terrorismus und tatsächlichen wie möglichen Migrationsbewegungen nach Europa: Geht es in der „Tagesschau“ um Afrika, so geht es zumeist um Krisenereignisse.

„Es gibt hier mehr Krisen, Kriege und Missstände als auf anderen Kontinenten“

Norbert Hahn, Leiter des ARD-Studios in Nairobi, macht dafür die Ereignislage vor Ort verantwortlich: „Vielen Menschen hier fällt der Blick in eine positive Zukunft schwer. In dieser Region gibt es zahlreiche Krisen und die haben ein Recht, gezeigt zu werden.“

Sein Anspruch sei es aber, „neben den Schwierigkeiten auch die Möglichkeiten abzubilden, die dieser Kontinent hat.“ Ähnlich sieht es Richard Klug, ARD-Korrespondent in Johannesburg: „Es gibt hier mehr Krisen, Kriege und Missstände als auf anderen Kontinenten“, sagt er. Gleichzeitig sei es wichtig, auch über den Tellerrand hinauszuschauen.

Die bunten Themen – Afrobeats, der afrikanische Wald, der Versöhnungsprozess mit Herero und Nama: alles Beiträge, die auch gesendet wurden. Themen, die den beiden Korrespondenten am Herzen liegen. Die aber eher im „Weltspiegel“ im Ersten laufen, in eigenständigen Reportagen oder höchstens in den „Tagesthemen“ – und damit vor einem kleineren Publikum als in der „Tagesschau“.

In wenigen Ländern sind multiperspektivische Ansätze jedoch auch dort, zur Prime Time, feststellbar: Vor allem Südafrika, Ägypten und Kenia werden in der „Tagesschau“ vielfältig abgebildet. Dort wird auch mal über Radioteleskope in der Karoo-Wüste, altägyptische Ausgrabungen bei Luxor oder die Sonnenfinsternis am Turkana See berichtet. Aus diesen Ländern erhält das Publikum gelegentlich Perspektiven, die vom Standardrepertoire abweichen. Von einer „Single Story of Catastrophe“ kann demnach nicht ohne Einschränkung die Rede sein.

Derweil wird dem Westen und dem Zentrum Afrikas kaum Aufmerksamkeit zuteil. Also jenen Regionen, in denen sich traditionell kein Fernsehkorrespondent der ARD befindet. Den Ansatz, dort ein weiteres Studio einzurichten, sehen Hahn und Klug jedoch skeptisch: zu teuer, zu wenig bespielbare Sendefläche im ARD-Programm.

Als sinnvoller erachten sie intensiviertes Teamwork mit lokalen Journalisten. „In der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern vor Ort hat sich eine Menge getan“, sagt Klug, der den Vergleich zu früher kennt, denn er war bereits von 2006 bis 2010 Studioleiter in Südafrika. Im Kongo, in Mali und in Äthiopien sei es gelungen, „Standorte zu entwickeln, ohne selbst zwangsläufig dort hinzureisen“, sagt Hahn.

Die coronabedingten Reiseeinschränkungen hätten diese Entwicklung beschleunigt. Ob die Ausweitung des Netzwerks thematisch zukünftig etwas an der Krisenhaftigkeit der Fernsehnachrichten aus Afrika ändern wird, bleibt abzuwarten.

Kurze Sendezeit von täglich 15 Minuten in der „Tagesschau“

„Tagesschau“-Chefredakteur Marcus Bornheim zeigt sich derweil offen gegenüber der Idee, das Korrespondentennetz auf dem Kontinent auszuweiten: „Die ,Tagesschau’ würde sich sehr über weitere Korrespondentenplätze in Afrika freuen, da dort aufgrund der Demographie spannende Entwicklungen zu erwarten sind“, antwortet er auf Anfrage.

Kein Faktor des nachrichtlichen Afrikabildes ist eine weitere geläufige Vorstellung: jene vom exotischen Naturparadies. Romantisierte Perspektiven von Atlasgebirge bis Tafelberg sind mit Ausnahme der frühen Jahre kein nennenswerter Erzählansatz der „Tagesschau“. Dass „mitten im afrikanischen Busch schwarze Burschen aus dem Arussi-Dorf“ beim Fischen begleitet werden, wäre heutzutage undenkbar.

Im September 1960 war diese Formulierung hingegen noch Teil eines Beitrags aus Äthiopien, bebildert mit Rückansichten nackter Fischer. Auf entsprechende Darstellungen wird selbstverständlich längst verzichtet.

Das Hauptproblem im Afrikabild der „Tagesschau“, das sich durch die Jahrzehnte zieht, ist weder Exotisierung noch Kitsch – sondern die übermäßige Konflikt- und Krisenperspektive. „Wir würden gerne häufiger über die wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen und Zusammenhänge in Afrika berichten“, schreibt Chefredakteur Bornheim, verweist gleichzeitig aber auf die kurze Sendezeit von täglich 15 Minuten in der „Tagesschau“.

Doch wenn auf der medialen Themenklaviatur zumeist dieselben Akkorde gespielt werden, wirkt sich das auch auf das Rhythmusgefühl der Rezipienten aus. Die „Tagesschau“ ist bis heute mit großem Abstand das quotenstärkste und glaubwürdigste Nachrichtenformat des deutschen Fernsehens. Durch die dominante Konfliktperspektive prägt sie das Afrikabild der Deutschen stärker als andere Sendungen und fördert in ihrer aktuellen Form Skepsis und Unsicherheit gegenüber Afrika und Afrikanern.

Chimamanda Adichie beschreibt das Phänomen wie folgt: „Man zeigt eine Seite eines Volkes, und nur diese eine Seite, immer und immer wieder. Und dann wird diese Seite zur Identität.“ Eine Abkehr von „Schema K“ könnte das Publikum zum Hinterfragen solch einseitiger Denkmuster anregen.