Putin lässt grüßen: Antonio Salieris Oper „Kublai Khan“ im Theater an der Wien
Der alte Salieri ist wieder auf Zeitreise. Er ist zurück in Wien, wo er als Hofkomponist des österreichischen Kaisers Joseph II. einst Furore machte. Allerdings: Richtig berühmt wurde Antonio Salieri erst gut 150 Jahre nach seinem Ableben, dank des genialen Schauspielers und Oscarpreisträgers F. Murray Abraham. Miloš Forman teilte ihm in seinem „Amadeus“-Film die Rolle des Conferenciers zu, der, halb demütig und halb neidvoll, die Geschichte vom Leben und Sterben Wolfgang Amadeus Mozarts moderiert.
Das blieb an der Figur kleben. Salieri ist und bleibt seither der ewig Zu-kurz-Gekommene, ein halbseidener Zweitbester. Im Museumsquartier, Halle E, Ausweichspielstätte des Theaters an der Wien, übernimmt er jetzt abermals die Moderation. Diesmal führt er, im Rokoko-Putz mit Zopfperücke durch eines seiner eigenen vergessenen Werke. Es heißt: „Cublai, Gran Kan d’Tartari“.
Dekadenz am Zarenhof
Diese heroisch-komische Oper erzählt vom Niedergang des mongolisch-chinesischen Großreiches – eine recht unverhüllte Satire auf die Dekadenz am russischen Zarenhof. Anno 1788 sollte das Stück uraufgeführt werden, wurde aber auf Befehl von oben abgesetzt. Denn Joseph II. hatte sich just für den Türkenkrieg mit Katharina II. verbündet, die ihrerseits soeben die Krim besetzt hatte.
Damals aus politischen Gründen in der Schublade verschwunden, wurde „Kublai Khan“ jetzt wiederbelebt, und, aus nächstliegend politischen Gründen stark überarbeitet. Regisseur Martin G. Berger schrieb eine neue „Spielfassung“, die die Handlung nach heute verlegt. Sie bricht ab, weil Putin die Ukraine überfällt.
Wieder scheitert die Oper an den politischen Zeitläuften. Das Libretto von Giambattista Casti musste dafür komplett neu geschrieben werden. Man habe, so verlautet das Regieteam, anschließen wollen an die politischen Offenbach-Operetten.
Blechgepanzerte Ouvertüre
Große Worte, viel gewagt. Dieser Vorschuss funktioniert aber nur in der ersten Viertelstunde. Bald nach der blechgepanzerten Ouvertüre plus Huldigungschor tritt Salieri persönlich auf. Erklärt dem Publikum, was gleich passieren wird, quatscht aber auch laufend seinen Opernfiguren dazwischen, wenn sie sich nicht dran halten. Und reißt routiniert Kalauer von dem Kaliber: „Karin Zatarina … äh … Zarin Katharina“. Salieri spricht Deutsch, die Sänger antworten ihm auf Italienisch.
Dazu gibt es mehrsprachig Übertitel, die so gut wie nie konform gehen mit dem, was gesungen wird. Eine absurde Zweithandlung, die wiederum an „Amadeus“ anknüpft, katapultiert das Stück in die Gegenwart: Das Publikum im Saal wird zur Hauptversammlung der Wiener Kublai Khan Süßwaren AG erklärt, die vor dem Ruin steht. Mit der Erfindung der „Kublai-Kugel“ war sie zum Marktführer geworden, neuerdings macht ihr chinesische Billigware Konkurrenz.
Chaos bricht aus. Alles versinkt in einer barriekoskyreifen, queeren Bussi-bussi-Party. Bärtige Damen rasieren Männer im Negligé. Tanzende Schokokugeln werfen Cancan-Beinchen und Kusshändchen. Köstliche Arien tauchen wie Inseln auf inmitten endlos gedrechselter Wortwitzwüsten.
Vorarbeiten für eine CD
Man muss schon sehr verliebt sein in Salieris Musik, um nicht ganz auszusteigen. Ersteres wird erleichtert durch die funkensprühende Realisierung der Partitur durch die Talens Lyrique unter Christophe Rousset. Seit Jahren kämpft Rousset für eine Rehabilitierung der Opern Salieris, auch aus dieser Wiener Produktion soll, wie verlautet, eine CD entstehen (ohne die hinzu gedichteten Holzhammerpointen der Berger-Fassung).
Entsprechend hat sich Rousset die idiomatisch passende, junge Sängerbesetzung zusammengesucht. Blitzsauber: die Sopranistin Alasdair Kent als bengalische Prinzessin Alzima. Wagemutig grenzüberschreitend: Alasdair Kent als Timur. Leon Kosavic als Oberpriester Posega sorgt für baritonales Belkantoglück, imponierend auch Fabio Capitanucci als alter Haudegen Orcano und Carlo Lepore als „Schorsch“ Kublai
Bleibt anzumerken: Salieris Kublai Kahn wurde 1998 schon einmal wiederentdeckt, am Theater Würzburg. Von einer um 237 Jahre verspätete „Welturaufführung“, wie in Wien PR-bedingt herumposaunt wurde, handelt es sich also nicht. Trotzdem sind etliche Nachtkritiker bereits auf diese Halbseidenheit hereingefallen.