Bis zur Heim-EM 2024: Kriegt das Team von Hansi Flick noch die Kurve?

Am Dienstag hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Testspiel gegen Belgien 2:3 verloren. Und dabei ähnliche Schwächen gezeigt wie zuletzt bei der WM-Endrunde. Besteht trotzdem Hoffnung auf eine erfolgreiche Europameisterschaft im kommenden Jahr in Deutschland? In unserer Serie „3 auf 1“ äußern drei Fußball-Expert:innen ihre Meinung zu den Aussichten des Teams von Bundestrainer Hansi Flick. (Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.)


Die Erwartungshaltung ist zu groß

Esther Sedlaczek moderiert seit 2021 die ARD-Sportschau. Bei der WM 2022 analysierte sie an der Seite Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger die Spiele. Sie sagt: Titel sind nicht alles.

Aktuell bin ich nicht ganz so positiv gestimmt. Die Kürze der Zeit, eine Mannschaft zu formen, macht die Aufgabe für Hansi Flick und sein Team alles andere als einfach. Ich finde es sehr mutig, dass zahlreiche junge Spieler – die teilweise auch in ihren Vereinen nicht unbedingt Stammkräfte sind – nominiert wurden.

Es ist eine schwierige Balance zwischen „Ausprobieren“ und „Einspielen“, die geschafft werden muss. Und dabei müssen der DFB und die Nationalmannschaft es hinbekommen, die Fans zu begeistern und zurückzugewinnen. Ohne deren Euphorie und die Freude auf die EM im eigenen Land wird es nicht funktionieren. 

Aber uns hat die Zeit nach der EM 2004 und die damals bevorstehende WM 2006 gezeigt, dass ein Umbruch auch kurzfristig erreicht werden kann. Die Situation hat ja in der Tat gewisse Parallelen. Wahrscheinlich müssen wir aber weg von dem Gedanken, dass einzig und allein der Titel zählt. Wie 2006 beim Sommermärchen. Auch wenn es nicht zum Titel gereicht hat, war die WM ja trotzdem ein absoluter Erfolg.


Eine erfolgreiche EM ist möglich

Boris Büchler ist Reporter, Interviewer und Filmemacher in der ZDF-Sportredaktion. Seit 1998 hat er alle Fußball-Welt- und Europameisterschaften der Männer für den Sender begleitet. Er sagt: Die Defensive ist das größte Hindernis.

Die letzten drei Turniere waren ein Foul am Fan. Sollte es auch beim vierten zu einem vorzeitigen Aus kommen, wäre der Imageschaden mittelfristig kaum noch zu korrigieren.

Eine erfolgreiche EM liegt im Bereich des Möglichen, wenn die Hochbegabten Kai Havertz, Jamal Musiala und Florian Wirtz in den kommenden 15 Monaten zu Führungskräften aufsteigen – dieses neue „Traum-Trio“ wäre die wichtigste Voraussetzung, um ein titelfähiges Team zu stellen.

Dahinter werden im Mittelfeld Ilkay Gündogan, Joshua Kimmich und Leon Goretzka bei diesem Turnier alles investieren, weil sie noch keinen großen Titel mit dem DFB-Team gewonnen haben. Sollte auch dieses „Manchester-München-Trio“ zünden, kann die Euro zu einem Sommermärchen 2.0 werden. Aber nur, wenn die gravierenden Defizite in der Defensive behoben werden.

Denn das Belgien-Spiel hat offengelegt, dass die Abwehr – wie schon bei der WM – nicht turniertauglich ist. Dies führt auf den Rängen zu Ernüchterung statt zu Euphorie. Die Nationalspieler müssen in den verbleibenden Freundschaftsspielen mit überzeugenden Auftritten endlich das Publikum hinter sich bringen – doch die Fan-Seele intensiv berühren können sie erst wieder, wenn es um Titel und Triumphe geht.


Die Mannschaft hat genug Qualität

Julia Simic ist ehemalige deutsche Fußball-Nationalspielerin. Aktuell ist sie Co-Trainerin der U-16-Nationalmannschaft der Frauen und seit Beginn dieser Saison regelmäßig als Sky-Expertin bei den Topspielen der Bundesliga im Einsatz. Sie sagt: Erfolg ist möglich.

Ich bin davon überzeugt, dass die deutsche Mannschaft die Kurve kriegt und sogar etwas euphorisch. Eine EM im eigenen Land ist nicht nur ein einmaliges Erlebnis in der Karriere jedes Spielers, sondern wird auch wieder eine neue Nähe zwischen Fans und der Mannschaft schaffen. Mit einem Erfolg im Eröffnungsspiel in München kann die Mannschaft in einen Flow kommen, der sie durch das Turnier trägt.

Die Enttäuschungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Deutschland nicht automatisch eine „Turniermannschaft“ und Erfolg keine Selbstverständlichkeit ist. Aber es war auch nicht alles so schlecht, wie es gemacht wurde. Die Qualität der deutschen Spieler reicht zweifellos für das höchste Niveau aus – aber erst durch Einsatz, Team-Harmonie und Eingespieltheit kommt diese individuelle Klasse auch zum Tragen. Das sind die Grundvoraussetzungen.

Ich finde es richtig, dass Hansi Flick jetzt auch viele Spieler testet. Danach wird es dann wichtig sein, daraus die beste Mannschaft zu formen und sich möglichst früh auf ein Gerüst festzulegen.

Spielertypen wie Niclas Füllkrug und Emre Can in ihrer derzeitigen Form verkörpern Tugenden wie Zweikampfhärte und Defensivlust, ohne die es nicht geht. Deshalb stimmt mich die Reaktion der Mannschaft und des Publikums nach den verschlafenen ersten 30 Minuten gegen Belgien trotz der Niederlage optimistisch.

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