„Es ist eine große Motivation“: Wie Toni Kroos das womöglich letzte Spiel seiner Karriere angeht

Dass all die Jahre im professionellen Sport Spuren hinterlassen haben, das merkt Toni Kroos jetzt auch da, wo er es nicht erwartet hätte. Am zweiten Tag nach einem Spiel nämlich, oder wie die Uefa vermutlich sagen würde, am Matchday plus two.

Am Montag dieser Woche, zwei Tage nach dem erfolgreichen Achtelfinale der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Dänemark, hatte Kroos jedenfalls mit großer Müdigkeit zu kämpfen. In seiner Not ist er an seinem trainingsfreien Tag sogar freiwillig 30 Minuten joggen gegangen, ehe er im Anschluss noch zwei Saunagänge einlegte.

Mehr als anderthalb Jahrzehnte als Profifußballer liegen hinter Kroos, 34 ist er inzwischen, und offiziell ist er inzwischen sogar vereinslos, weil sein Vertrag bei Real Madrid am 30. Juni ausgelaufen ist. Nur die Nationalmannschaft ist ihm jetzt noch geblieben. Im Idealfall wird Kroos bei der Europameisterschaft im eigenen Land noch drei Spiele bestreiten, ehe für ihn die Zeit ohne Fußball beginnt.

Im ungünstigsten Fall aber ist es für ihn schon am Freitagabend vorbei, wenn das Viertelfinale der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien abgepfiffen wird. Ausgerechnet gegen Spanien, seine Wahlheimat, in der Kroos zehn Jahre lang gelebt und vor allem höchst erfolgreich Fußball gespielt hat.

Es wird nie wieder was geben, was ich so gut können werde wie Fußball spielen.

Toni Kroos über das bevorstehende Ende seiner Karriere

Joselu, spanischer Nationalspieler und bisher sein Teamkollege bei Real, hat jedenfalls angekündigt, dass man Kroos am Freitag in Rente schicken würde. Kroos lächelt, als er bei der Pressekonferenz zwei Tage vor dem Viertelfinale in Stuttgart (18 Uhr, live in der ARD) mit der Aussage konfrontiert wird. Er finde es immer gut, wenn jemand ehrgeizig sei, sagt er.

Das sind die Deutschen schließlich auch, obwohl sie in der öffentlichen Wahrnehmung eher als Außenseiter in die Partie gehen. „Die Spanier spielen einen guten Ball. Das muss man ihnen lassen“, sagt Kroos. „Wir aber auch. Das muss man uns lassen.“ Langweilig werde es am Freitag sicher nicht werden.

Im Zentrum. Die Rückkehr von Toni Kroos ins Nationalteam hatte eine belebende Wirkung.

© imago/Jan Huebner/IMAGO/Patrick Scheiber

Dass die Deutschen im Allgemeinen und Toni Kroos im Besonderen das Viertelfinale selbstbewusst angehen, hat viel mit Toni Kroos zu tun. Im März ist er nach mehr als zweieinhalb Jahren Abstinenz in die Nationalmannschaft zurückgekehrt. Seitdem gab es für das Team keine Niederlage mehr. In acht Spielen kassierten die Deutschen ganze vier Gegentore, ein halbes im Schnitt. Zuvor lag der Schnitt bei knapp zwei (21 in elf Spielen seit der WM in Katar).

„Vorher waren wir nicht stabil genug. Das war eine Schwäche von uns“, hat Leroy Sané dieser Tage über den heilsamen Einfluss von Toni Kroos gesagt. „Diese Schwäche hat er uns genommen.“

Auf die Mitte wird es ankommen

Auf den Strategen im Mittelfeld wird es auch gegen die Spanier ankommen, die mit Rodri von Manchester City ebenfalls über einen ausgewiesenen Strategen im Mittelfeld verfügen. Wenn Kroos über sein Pendant auf der anderen Seite spricht, hört es sich an, als rede er über sich selbst: „Das ist ein Spieler, der eine absolute Ruhe ausstrahlt, der nicht fehleranfällig ist, auch nicht unter Druck. Es gibt schon ein paar Gemeinsamkeiten.“

Der Unterschied ist, dass Rodri als alleiniger Sechser vor der eigenen Abwehr spielt, während Kroos mit Robert Andrich einen Adjutanten an seiner Seite hat, der sich mit Lust als Tatortreiniger betätigt. Wem es am Freitag gelingt, das Mittelfeld unter Kontrolle zu bringen, dem wird es mutmaßlich auch gelingen, das Spiel zu gewinnen.

„Die Meinung vertrete ich schon immer: dass solche Spiele in der Mitte entschieden werden“, sagt Kroos. „Es werden zwei Mannschaften aufeinandertreffen, die lieber den Ball haben, als ihn nicht zu haben. Es wird viel darum gehen, wie man mit der Zeit ohne Ball umgeht. Wer sich da wohler fühlt.“

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Länderspiele hat Toni Kroos bisher bestritten. Drei kommen im Idealfall noch hinzu.

Zehn Jahre bei Real Madrid, dem nach eigenem Selbstverständnis größten Klub der Welt, haben Kroos geprägt. Verlieren ist nicht nur keine Option, gewinnen ist sogar die einzige denkbare Möglichkeit.

Diese Gewissheit strahlt Kroos auch bei der Nationalmannschaft aus, die nach ihren Misserfolgen bei den jüngsten drei Turnieren wenig Grund zu übertriebenem Selbstbewusstsein hatte. Die vergangenen Monate aber haben etwas mit dem Team gemacht. „Wir haben mittlerweile einen anderen Glauben“, sagt Kroos.

Mit dem Erreichen des Viertelfinales habe die Nationalmannschaft „ein gewisses Minimalziel erreicht“, findet er. Und egal, wie es gegen Spanien ausgeht, von einer Katastrophe könne man nun nicht mehr sprechen, „das haben wir erfolgreich umschifft“.

Trotzdem sieht er das, was jetzt noch kommt, nicht als Bonus. Die Mannschaft wolle einfach mehr. Und Kroos will es auch. Schon, damit für ihn nicht bereits am Freitag alles vorbei ist. Der Plan bei seiner Rückkehr war, als Europameister aufzuhören, so wie er bei Real als Champions-League-Sieger aufgehört hat. „Das wäre natürlich ein sensationelles Ende“, sagt Kroos. „Aber ich habe mich auch mit dem Szenario beschäftigt, dass es nicht klappen könnte.“

Dass der Traum schon am Freitag ausgeträumt und seine Karriere damit Knall auf Fall zu Ende ist, das habe er natürlich im Kopf, „aber es belastet mich nicht“, sagt er. „Es ist eine große Motivation.“ Und überhaupt: „Ich gehe auch nicht davon aus, dass das mein letztes Spiel sein wird.“

Angst vor der Zeit ohne Fußball habe er trotzdem nicht. Schließlich habe er die Entscheidung aus freien Stücken getroffen und nicht, weil ihn jemand dazu gedrängt hat. „Es wird die Momente geben, wo ich den Fußball vermissen werde“, sagt Kroos, denn: „Es wird nie wieder was geben, was ich so gut können werde wie Fußball spielen.“

Was er denn künftig machen werde, wenn er bald nicht mehr arbeiten müsse, ist Toni Kroos am Mittwoch noch gefragt worden. „Ich hab‘ nie gearbeitet“, antwortete er.