Der Traum vom Großstadtglück

Jack Antonoff braucht die Nestwärme. Aus seinem Elternhaus in New Jersey ist er erst mit 27 ausgezogen – auch aus finanziellen Gründen. Auf die vergangene Tour seines Bandprojekts Bleachers, dessen fabelhaftes neues Album „Take The Sadness Out Of Saturday Night“ (RCA) jetzt erscheint, hat Antonoff sein Kinderzimmer dann einfach mitgenommen. Er ließ es Poster für Poster, Sticker für Sticker abnehmen und in einem mobilen Häuschen, das aussah wie ein überdimensioniertes Monopoly-Hotel auf Rädern, wieder einrichten.

So hatte er den Raum immer dabei, in dem seine Musik entstand, die Fans konnten hineingehen, seine Songs hören und alles anfassen. Das war 2017 und Antonoff, gerade 33, hatte die größten Geldsorgen hinter sich. Dafür hatte der Hit „We Are Young“ seiner alten Band Fun gesorgt, ein gefragter Produzent war er überdies.

Ehrliche Songwriterinnen haben es ihm angetan

Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren derart viel prägende Popmusik auf sein Konto gegangen, dass es nicht vermessen ist zu sagen: Von Jack Antonoff selbst mag man noch nie gehört haben, aber einen von ihm produzierten Song, den hat man bestimmt schon gehört. Zu seinen Schützlinge gehören unter anderem Taylor Swift, Lana Del Rey, Lorde und St. Vincent. Mit ihnen schreibt und produziert er immer wieder.

Die Sache mit der Nestwärme gilt auch für seine Produzententätigkeit. Er arbeite nur mit Menschen zusammen, mit denen er befreundet sei, sagte er dem „Rolling Stone“. Man kann das ruhig noch weiter eingrenzen: Er arbeitet vor allem mit befreundeten Frauen zusammen.

Brutal ehrliche Songwriterinnen hätten es ihm schon immer angetan, erklärt er. Und sie arbeiten gern mit ihm, weil er nichts zu tun hat mit dem alten Produzententypus des nebulösen Strippenziehers, der die Frau – mit mal mehr, mal weniger zweifelhaften Methoden – in die Erfolgsspur lenkt. Musik entsteht bei ihm aus dem Zusammenspiel heraus und durch den Austausch über gemeinsame Vorbilder.

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Dabei wird Antonoff zum Euphoriker. Ein Hipster im Hoodie, der in Interviews von seinen Lieblingsbands schwärmt und dabei kaum stillsitzen kann, sich ständig an die Designer-Brille fasst und in Haaren herumwuschelt. Die von ihm produzierten Songs sind wie ein Schacht ins Herz der Pop-Geschichte, aus dem die Musik früherer Jahrzehnte emporhallt, immer wieder von den Wänden zurückgeworfen wird, sich überlagert, bis ganz oben ein zeitgemäßer Sound herausdringt.

Auf der dritten Platte seines Solo-Projekts Bleachers, „Take The Sadness Out Of Saturday Night“, erlaubt er den Stücken, ihren nostalgischen Kern stärker zu zeigen. Das Album illustriert eine Entwicklung, die sich seit einigen Jahren in seinem Werk abzeichnet: Die bis in den Achtziger-Himmel aufgetürmten Synthies und Sample-Gewitter, früher ein Markenzeichen seines Breitwand-Pops, weichen zunehmend einem organischeren Sound.

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Antonoff hat das Album nicht allein eingespielt wie die früheren Bleachers-Platten – diesmal war die Band mit im Studio. Das tut den Songs gut, sie wirken selbstverständlicher. Gleichzeitig klingt Antonoffs Gesang souveräner, die Texte sind schlüssiger, die Emotionen weniger kalkuliert. Zeigten seine bisherigen Solo-Arbeiten wie sehr er auf eine geniale Partnerin angewiesen ist, erreicht er nun erstmals mit einer Bleachers-Platte die Qualität seines Produzenten-Outputs.

Auch auf diesmal war Antonoff auf seinen Freundeskreis angewiesen: auf Leute, denen er die halbfertigen Stücke vorspielte, auf deren Meinung er hörte. Das geht schon beim Opener los, „91“, einer vertonten Kindheitserinnerung. Kein Beat, nur Streicher und Stimme: der Irak- Krieg im Fernsehen, seine Mutter, die mit Geistern durch das Zimmer tanzt, alles scheint in Auflösung begriffen. „She’s here but she’s not, just like her I’m not home.“

Bestseller-Autorin Zadie Smith half ihm, den erzählerischen Rahmen für die Lyrics zu finden, St. Vincent hat Streicher-Arrangements beigesteuert, Warren Ellis von den Bad Seeds Violine gespielt – wenn Jack Antonoff „solo“ arbeitet, sind eine Menge Berühmtheiten involviert.

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Einer jedoch ist präsenter als alle anderen: Bruce Springsteen. Nicht nur, dass er als Vorbild durch das gesamte Album spukt, er singt auf dem zweiten Stück selbst mit. „Chinatown“ ist eine Wuchtbrumme von einem Song mit jeder Menge New-Jersey-Pathos: die große Stadt New York so nah und doch außer Reichweite, Teenage-Verzweiflung, die rasende Lust auf Leben, die inmitten der Kleinstadt- Idylle wächst und pumpt und darauf wartet, entfesselt zu werden. „I’ll take you out of the city, honey“, singt Antonoff erst allein, dann mit Springsteen, „Right into the shadow, ’cause I wanna find tomorrow.“ Dazu spielen die Synthies eine hymnenhafte Hookline und das Glockenspiel klingelt wie zu besten „Born To Run“-Zeiten.

Lana Del Rey singt mit ihm

Den massigen Klang des Springsteen- Klassikers peilt Antonoff immer wieder an, auch auf „Don’t Go Dark“. Der Song wurde nach seiner Trennung von „Girls“- Erfinderin Lena Dunham zur Initialzündung für das Album. Lana Del Rey unterstützte ihm beim Texten und übernahm auch die Backing-Vocals: „Run, run, run, run with the wild“.

Das Schlagzeug wummert, Glocken läuten, der Schellenring scheppert, das Saxofon legt sich flächig in den Sound – alles fügt zu einer bedächtigen Rock’n’Roll-Walze. Antonoff vervielfacht seine nicht sonderlich prägnante Stimme, packt Hall darunter, mischt sie in die Klangmasse, wenn er singt: „Do what you want, just don’t go dark on me.“

Trotz der traurigen Untertöne drängt die Musik von Bleachers hinaus ins Leben, insistiert, dass das Glück da draußen wartet, in der großen Stadt, auf dem Highway. Diesmal wird er sein Kinderzimmer nicht mitnehmen auf Tour. Dafür hat er all seine Freund:innen dabei, die ihm geholfen haben, den Weg zu diesen Songs zu finden. Nicht erst bei der Arbeit am Album. Sie waren schon immer da.