Das kalte blaue Licht des Nordens: Bilder voll eisiger Schönheit
In Landschaften ist der Mensch ursprünglich zu Hause, sagt Jan Scheffler. Jahrtausendelang wuchs der homo sapiens mit dem Anblick von Bergen und Tälern, Wiesen und Wäldern auf. Licht und Dunkelheit gaben seiner Umgebung schimmernde Konturen. Etwas ist verloren gegangen und wird nun von Körper und Seele als Verlust verbucht. Doch der Berliner Fotograf, Jahrgang 1964, will keine Philosophie à la Rousseau verkünden und auch keine sattsam bekannte Zivilisationsklage wiederholen – er will Naturräume da erkunden, wo sie noch ursprünglich und unberührt sind. Darum sucht er das Erlebnis von Grenzregionen, die den Menschen aus den gewohnten Schutzräumen heraus reißen.
Im Zelt bei minus 30 Grad
Seit mehr als zwanzig Jahren fährt Jan Scheffler, der im Hauptberuf als Lithograf arbeitet, in den arktischen Norden. In Island, Norwegen und Finnland zeltet oder schläft er vorzugsweise im Auto fernab einer Siedlung. An die Kälte bis zu minus dreißig Grad hat er sich gewöhnt. Gut ausgerüstet erträgt er sie gern und wartet gespannt auf die Morgendämmerung, der nach kurzer, schwacher Helligkeit schon der Sonnenuntergang folgt. Er studiert, wie das Licht Felsen, Gletscher und Meer in ein eigentümliches, sich schnell veränderndes Licht taucht. Vor allem aber kann er sich gar nicht daran satt sehen, wie der Himmel über allem in einem wunderbaren reinen Blau erstrahlt. Kein Mittelmeerblau kann diese wie aus der Unendlichkeit kommende und doch eisige Himmelsfärbung übertreffen.
Auf einer dieser dreiunddreißig Arbeiten, die derzeit in den Ausstellungsräumen der renommierten Alfred Ehrhardt Stiftung hängen, sieht man eine Szene auf den Lofoten: Ein gewaltiger kahler Felsriese erhebt sich aus der Mitte des Wassers und setzt dem homogenen Blau des Himmels und dem etwas dunkleren Spiegel des Sees im Vordergrund einen massiven optischen Widerstand entgegen. Darüber umschwebt ein schmales Wolkenband das schwarze Bergmassiv wie ein Kranz. Am immer noch tiefenscharf erfassten Horizont mildert eine rosa Färbung des Himmels den harten, bedrohlichen Kontrast.
Die Natur als Bühne
Zu den Eigenarten von Jan Schefflers Fotografien gehört zuvorderst das quadratische Format. Im Quadrat entsteht kein Erzählzwang. Das fast statische Bildgefüge, Scheffler meidet die Zentralperspektive, strahlt Ruhe und Harmonie aus. Hier ist kein Detail im Computer verschoben worden und wird das Licht, fern jeder Geo-Optik, weder verstärkt noch gedimmt. Der Betrachter steht wie vor einer Naturbühne, in der die Umrisse der Felsen die Kulissen bilden, die Farben eine faszinierende Anziehungskraft ausüben und dabei jede warme Empfindung abweisen.
Die Hauptwirkung geht immer von der blauen Farbe aus und darauf dürfte die meiste Anziehungskraft von Schefflers skandinavischen Bildfunden beruhen, kommt sie doch der allgemeinen Vorliebe für die Farbe blau wie gerufen. Doch manchmal, vor allem an den langen Sommertagen, sorgt hier das Grün der dünnen Moosflächen auf den Felsen für einen anderen, wärmeren Ton. Wenn dagegen Schwarz und Weiß einen harten Kontrast bilden, wie auf einer einzelnen Aufnahme vom Nordkap, scheint sich vor unseren Augen ein unheimlich tiefer Abgrund aufzutun.
Die Poetik der Ortlosigkeit
Ortsangaben findet man nur in dem bereits vergriffenen, umfangreicheren Fotobuch von Jan Scheffler, das 2019 unter dem Titel „89 Licht“ im Hatje Cantz Verlag erschienen ist und in der Ausstellung eingesehen werden kann. Als Ersatz dafür bieten die Bildunterschriften präzise GPS-Angaben zum jeweiligen Standort des Fotografen. Für ein poetisches Echo zu den dreiunddreißig Fotografien, die auch zum Verkauf stehen, sorgen die schönen kurzen Verse von Jacqueline Majumder, die gern im Stil eines japanischen Haiku dichtet. „Die Erde atmet, die Wellen kühlen das Licht.“, liest man. Jan Schefflers Fotografien kühlen nicht nur das Licht, sie lassen das Licht auch in den Farben von Himmel und Erde als ein wahres Wunderwerk der Natur aufscheinen.