Guerilla-Cuisine aus dem Gemüsegarten

Das belgische Kulturgut Fritten kommt in diesem Comic nicht allzu gut weg, vielmehr verkörpert es die Fastfoodisierung der Ernährung. Und gegen diese zieht die Titelheldin von „Yasmina und die Kartoffelkrise“ (Übersetzung: Katrin Herzberg, Reprodukt, 160 S., 20 €) beherzt zu Felde.

Yasmina lebt mit ihrem alleinerziehenden Vater in einer Brüsseler Stadtwohnung ohne Garten im vierten Stock. Sie liebt es zu kochen und interessiert sich weit mehr dafür als für Französisch oder Mathe; während des Unterrichts tüftelts sie Methoden aus, Kaninchen mit Ködern aus übel schmeckenden Kräutern abzuschrecken, oder startet eine Petition, um einen Gemüsegarten auf dem Dach der Schule anzulegen.

Yasmina und ihr Vater haben nicht viel Geld, aber trotzdem organisiert das aufgeweckte Mädchen stets frische Zutaten für ihre kreative Veggie-Cuisine. Vor der Schule sammelt sie essbare Wildpflanzen, nachmittags versorgen ihre Freunde Cyril und Marco sie mit Kartoffeln, Rotkohl oder Spargel aus ihren Schrebergärten.

Was noch fehlt, wird dank einer Prise Guerilla-Attitüde und maskiert mit wollener Skimütze aus dem Urban Gardening-Projekt einer geheimnisvollen Wissenschaftlerin besorgt, die sich ein idyllisches Refugium auf dem Dach von Yasminas Haus eingerichtet hat.

Wenn Yasminas Papa abends nach Hause kommt, ist das auch grafisch ein besonderes Ereignis: Ein goldgelber Frittengeruch entströmt seiner Arbeitskleidung vom Imbiss „Tutti Fritti“ und kriecht wie eine leuchtende Spur aus dem Treppenhaus in jede Wohnung und jede Nase.

Mit genmanipulierten Kartoffeln zur Marktherrschaft

Gezeigt wird das in einem seitengroßen Aufriss des Hauses, der in die Zimmer der diversen Bewohner:innen blicken lässt; ein sehr belgisches Detail hierbei: In der Denkblase jeder Figur ist eine Tüte Fritten zu sehen – jeweils gekrönt von einer anderen Sauce.

Die Spur der Fritten: Eine Szene aus „Yasmina und die Kartoffelkrise“.Foto: Reprodukt

Überhaupt bringen Wauter Mannaerts lockerer Strich und seine dynamischen Arrangements mit und ohne Panels viel Bewegung und Abwechslung in die Seiten dieses schönen Comics.

[Kulinarische Themen werden in vielen Comics behandelt, hier gibt es weitere Tagesspiegel-Artikel dazu: Der Krieg der Köche, Zweifelhafte Delikatessen, Mit einer Prise Humor.]

Dazu kommen cartoonesk überzeichnete Figuren wie der skrupellose Unternehmer Tom de Perre, der mit genmanipulierten Kartoffeln nach der Marktherrschaft strebt: ein aufgeblasener Typ mit Cowboyhut und Westernallüren, in dessen Namen ein Anagramm von „pomme de terre“, dem französischen Wort für Kartoffel, steckt, und dessen Physiognomie tatsächlich etwas vom Erdapfel hat.

Chips, Chips, Chips

Tom de Perre ist Urheber der titelgebenden Kartoffelkrise. Denn aus seinen neu gezüchteten Kartoffeln stellt er Convenience-Produkte her, die sämtliche anderen Lebensmittel aus den Regalen und Auslagen verdrängen: Chips in zahlreichen Geschmacksrichtungen und mit hohem Suchtpotenzial, deren Verzehr ein sonderbares hundeartiges Verhalten bei den Menschen hervorruft und sie leicht zu manipulieren macht.

Das Titelbild von „Yasmina und die Kartoffelkrise“.Foto: Reprodukt

Yasminas Kampfgeist ist spätestens geweckt, als Tom de Perre für seinen Konzern die Schrebergärten von Cyril und Marco planieren lässt.

Gemeinsam mit der Wissenschaftlerin vom Dach, die das Verfahren für die Spezialzüchtung entdeckt hat, sich aber empört von dem Verwendungszweck distanziert, mit ihrem Vater und ihren Gärtnerfreunden will Yasmina de Perres Machenschaften Einhalt gebieten. Eine riskante Angelegenheit, die denn auch in einem fulminanten Finale endet.

Gut zu wissen: In Belgien ist nach diesem Band eine Serie gestartet, in der die gewitzte Nachwuchsköchin und Aktivistin ihre Petition für einen Garten auf dem Schuldach und den Kochunterricht weiterverfolgt und mehr kreative Lösungen für neue Widrigkeiten finden muss.