Ein Höllenspektakel an der Volksbühne
Die Hypnotiseurin Miranda van Kuilenburg hat etwas von einer Domina. Mit einem Fingerschnippen versetzt sie zu Beginn von „A Divine Comedy“ sechs Zuschauer:innen in Schlaf. Der dösenden Annina flüstert Miranda ein, sie sei Dante. Und den Zuschauer:innen verspricht sie, sie mitzunehmen auf eine faszinierende Reise. Aninna Machaz gehört, wie sich bald rausstellt, zum rein weiblichen Ensemble von Florentina Holzinger. Intendant René Pollesch und sein Team haben die Wiener Choreografin an die Volksbühne geholt. Das Premierenpublikum erwartet viel von diesem Abend , denn das Stück wurde auch mit einer Triggerwarnung versehen: „Der Besuch wird erst ab 18 Jahren empfohlen.“
In einer Hinsicht enttäuscht Holzinger, die als Extrem-Künstlerin gilt, nicht. Einmal hocken sich vier Frauen an die Rampe und machen ein Häufchen. Auch das wird hier als eine Art der Körperbeherrschung vorgeführt. In Dantes „Divina Commedia“ steht über dem Tor zur Hölle: „Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“. Annina lässt als Dante erstmal einen fahren. Ein Dixie-Klo, aus dem Rauch aufsteigt, ist dann unschwer als Eingang zum Inferno zu erkennen.
Bevor der weibliche Dante seine Notdurft verrichten kann, muss er erstmal eine Slapstick-Nummer absolvieren. Der Humor ist derb und ziemlich abgeschmackt. Und natürlich hat das Stück auch etwas Wienerisch Morbides. Einigen der Tänzerinnen und Musikerinnen wurde ein Skelett auf den Rücken geschnallt; Der Tod hat sie fest im Griff. Komplettiert wird die radikale Schwesternschaft von einer Sex-Arbeiterin und eine Motocross-Fahrerin.
Beatrice Cordua sorgt für bewegende Momente
Florentina Holzingers Bühnenspektakel kreisen immer um den weiblichen Körper. Mit ihren feministischen Fantasien, überschreibt sie die überlieferten Imaginationen von Weiblichkeit. Auch diesmal lässt die Choreografin ihre Performerinnen wieder nackt auftreten. Athletische wie auch voluminöse Körper werden ausgestellt, Holzinger zeigt reale Körper, die sich in ganz realen Tätigkeiten verausgaben – und deswegen taugen sie nicht zur Projektionsfläche für schwüle Fantasien.
Dantes Gefährtin Beatrice wird von der fest 80-jährigen Ex-Ballerina Beatrice Cordua verkörpert, die in einem Caddy auf die Bühne rollt und erzählt, dass sie an Parkinson leide. Fiktives und Biografisches vermischen sich in ihrem Monolog. Sie hat früher bei John Neumeier getanzt, auch nackt, und galt dann als Skandalnudel. Tänzer sterben zweimal, sagt sie: am Ende ihrer Karriere und am Ende ihres Lebens. Als Beatrice beschert sie dem Stück die einzigen wirklich bewegenden Momente. Denn sie zeigt eine Art Einübung ins Sterben.
Vorher ist in der Hölle reichlich Action zu bestaunen. Vier Performerinnen absolvieren zehnmal einen Hürdenlauf auf kurzer Strecke – es gewinnt jedes Mal die Größte. Die Choreografie von Ty Boomerhsine ist in einer Endlosschleife zu sehen – und wird teilweise recht holperig interpretiert. Aber ums Schöntanzen geht es ja nicht bei Florentina Holzinger.
Die Motocross-Fahrerin kurvt über die Bühne und springt über eine Rampe. Erst greift Renée Copraij zur Motorsäge, später haut ein Quintett mit kreischenden Geräten Kerben in Holzblöcke. Das hat etwas von Sträflings-Exerzitien und von vergeblicher Sisyphosarbeit – wir sind ja in der Hölle –, doch die Frauen haben sichtlich Spaß dabei, sich in männlich konnotierten Aktivitäten zu verausgaben.
In Dantes „Divina Commedia“ hat die Choreografin sich nicht vertieft, sie folgt grob dem Aufbau in Inferno, Purgatorio und Paradiso. Und wie immer ist sie unerschrocken in der Wahl ihrer Mittel. Eine junge Frau zuckt nicht mal mit der Wimper, als ihr Blut abgenommen wird. Während sie das Blut auf die Leinwand spritzt, erzählt eine ältere Performerin, dass sie 1976 in einem Handke-Stück mitgespielt hat. Daraus wird dann ein wildes Happening. Mehr als ein Dutzend Frauen suhlen sich in blauer, roter, gelber Farbe, pressen ihre Leiber auf die Leinwand in einer rauschhaften Orgie.
Eine Ratte wird seziert
Auf das Action- und Body-Painting folgt eine Masturbationsszene, bei der die Sex-Arbeiterin Foxxy Angel auf einen Podest liegt und demonstriert, wie ein Sex Toy am besten zu handhaben ist. Die Kamerafrau steuert Nahaufnahmen bei. Auch das Sezieren einer Ratte wird detailliert gezeigt.
All die Kunstanstrengungen sollen hauptsächlich dazu dienen, der moribunden Beatrice ein schönes Begräbnis auszurichten. Beatrice Cordua legt sich dann nieder und wird liebkost von einer jungen Tänzerin. Tod beim Orgasmus – eigentlich dachte man, das sei die Fantasie von alternden Playboys. Die Blutspenderin, offenkundig die Frau für die szenischen Torturen, wird dann auf eine Bahre gelegt, an Händen und Beinen gefesselt, in ihren Mund wird eine Ratte gestopft – das Paradiso, so wie Holzinger es sich ausmalt, ist kein gemütlicher Ort.
Die Choreografin huldigt ihren Obsessionen
Florentina Holzinger greift tief in die Trickkiste des Theaterprovokation. Ein ernsthaftes Nachdenken über den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod und über die theatralen Darstellungskonventionen ist „A Divine Comedy“ nicht. Und trotz des Einsatzes der Hypnotiseurin auch keine Reise in das eigene Unbewusste. Skandalös oder verstörend wirkt hier nichts. Florentina Holzinger schafft ein höllisches Spektakel, das streckenweise sogar ganz unterhaltsam ist. Und sie huldigt wieder ihren Obsessionen, zeigt aufgehängte Frauen, Kleinwagen – und ein schwebendes Klavier. Kein Schock, aber viel Schauwert.