Hannah-Höch-Förderpreis für Farkhondeh Shahroudi: Farsi mit rechts, Deutsch mit links
Eine Schar Tauben ist im Foyer des Kupferstichkabinetts gelandet. Hoch oben unter den Oberlichtfenstern hocken die stummen Vögel, als suchten sie einen Ausweg. Gemacht sind sie aus hellem Stoff und Poesie. Mit sich überlagernden Worten in Farsi hat Farkhondeh Shahroudi die ausgestopften Körper beschriftet.
Seit über zwei Jahrzehnten lebt die 1962 in Teheran geborene Künstlerin in Berlin. Aus ihrem Atelier im Wedding hängte sie eine handgestickte Flagge „Max Beckmann war nicht hier“. Die seidig leuchtend rote Inschrift auf schwarzem Grund flammt jetzt in der Ausstellung, aufgespannt zwischen Säulen: ein Signal, eine Kontaktaufnahme unter zwei Exilierten.
Der von den Nazis verfolgte Beckmann floh 1937 nach Amsterdam. Sharoudi nahm den imaginären Dialog mit ihm auf, als sie selbst vor einigen Jahren als Stipendiatin in der Villa Romana in Florenz weilte – genau wie er einst als junger Künstler. Jetzt blickt er todernst aus einem Selbstbildnis auf die rundum versammelten Arbeiten Shahroudis.
Sharoudis Sprache hat Ecken und Kanten
Die Grafik hat sie aus dem Bestand des Kupferstichkabinett ausgewählt. Dass die 60-Jährige jetzt mit dem Hannah-Höch-Förderpreis ausgezeichnet wird, kommt spät und doch gerade recht. Erstmals kann nun ein umfassender Katalog ihres vielschichtigen, vielgestaltigen Oeuvres erscheinen.
Mit Schrift, mit Gedichtzeilen, mit manchmal gestammelten, bruchstückhaften Notaten beginnt ihr Arbeiten und wächst sich aus ins Wandfüllende, Dreidimensionale. Niemals entflieht es der Situation des Exils. Auf Stoff oder Papier, teils winzig, teils raumgreifend dokumentieren die Buchstaben und Zeichnungen Beklemmendes, wohl am eigenen Leib Erfahrenes.
Sie sprechen von Kopfschmerz, Panikattacken, Essstörungen. Sie warnen: „Wenn ihr thiese Zeichnung sieht, denkt nicht wie ein beamte der ausländer behörde“. Diese Sprache voller Ecken und Kanten ist Sharoudis Idiom, sie will nichts daran korrigieren. Als ausgestopftes Textilobjekt gewinnt der Seufzer „Oh“ greifbare Buchstabenrealität. Frauenkörper und verhüllte Gestalten im Tschador tauchen auf, Hände recken sich, zeichenhaft verknappt.
Einige ihrer Objekte haben es ins Freie geschafft. Auf einer Foyerterrasse liegt zusammengeballt die Sprengkraft des Floralen: Shahroudis „Seedbombs“ aus zusammengenähten Perserteppich-Fragmenten enthalten Pflanzensamen. Der Traum vom Paradiesgarten, schon in den traditionellen Knüpfteppichen seit jeher eingearbeitet, hier ballt er sich als poetische Munition. Die Geste verhaltener Aggression birgt zugleich Zukunftshoffnung.
Verschnürt sind die kugeligen Gebilde mit schwarzen Fahrradschläuchen. Aus demselben Alltagsmaterial hat Shahroudi auch die prall ausgestopften Schriftzeichen einer „Sprechkette“ geknotet. Wovon dieses Gebilde spricht? Vielleicht kann es entziffern, wer des Farsi mächtig ist. Aber oft, so verrät die Künstlerin, kann sie ihre Wörter später selbst nicht mehr lesen.
Farsi schreibt sie mit rechts, Deutsch hingegen mit der linken Hand. Ihre Wahlheimat wählte Shahroudi 1990 ganz bewusst: Als sie ankam, herrschte gerade die Aufbruchsstimmung der Wendezeit. Im Iran war sie als junges Mädchen 1979 gegen das Schahregime auf die Straße gegangen. Später wurde es ihr zu eng im Staat der Mullahs.
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