Neues Folkpop-Album von Weyes Blood: In Schönheit zu Grunde gehen
Jedes einzelne unserer modernen Leben ist ein voll funktionsfähiges beschissenes Desaster, findet Weyes Blood. Isolation, tiefe Verunsicherung und die Erbschuld, für die wir uns bei der Boomer-Generation bedanken können, sind die Gründe. Und auf dem Album „And In The Darkness The Hearts Aglow“ (Sub Pop) widmet sich Weyes Blood ihnen ausgiebig.
Klingt nach einer deprimierenden Angelegenheit? Vielleicht. Ist aber gleichzeitig auch eine Mediation auf ein kollektives Erleben unserer Gegenwart und das Anerkennen eines Status Quos – und das tut erstaunlich oft sehr gut.
„Das Album ist während Corona entstanden, aber es ist kein Corona-Album,“ sagt Natalie Laura Mering alias Weyes Blood im Interview. Sie sitzt am Schreibtisch eines Zimmers im Michelberger Hotel in Berlin-Friedrichshain. Die Ausstattung hier erinnert an schmucklose Jugendherberge.
Mering hat ihre Lederjacke angelassen, wenn sie sich bewegt, knautscht es. „Ich habe das Album in den letzten zweieinhalb Jahren geschrieben, natürlich fließen die Gefühle und Beobachtungen der Pandemie mit ein,“ sagt sie.
Der Weg in den Untergang hat aber schon viel früher begonnen: Ihr aktuelles Album ist der zweite Teil einer musikalischen Trilogie, die mit ihrem hochgelobten vierten Album „Titanic Rising“ (2019) begann. Der „New Yorker“ prieß sie damals als moderne Joni Mitchell.
Auf der Platte beschäftigte sie sich mit dem drohenden Unheil, nun haben wir es als Menschheit einen Schritt weiter geschafft und sind mittendrin: Wir haben die Natur verraten, uns dem Kapitalismus hingegeben und bekommen keine zwischenmenschlichen Beziehungen mehr hin. Alles verloren also, sollten wir uns damit abfinden und den ganzen Zirkus sein lassen?
„Ich finde, die Auseinandersetzung zunächst einmal wichtig. Wir leben in einer spannenden Ära: Unsere Eltern und Großeltern haben die guten Zeiten erlebt, hatten Wohlstand und Optimismus. Sie surften auf einer Welle der Glückseeligkeit und wir erleben den Bruch dieser Welle,“ erklärt sie. „Wir müssen damit leben, dass die meisten von uns es sich nicht leisten können, ein Haus zu kaufen oder ohne finanzielle Schwierigkeiten Kinder aufzuziehen.“
Ich glaube, es würde uns sehr viel besser gehen, wenn wir akzeptieren würden, dass unsere Leben und unsere Ressourcen endlich sind.
Natalie Laura Mering alias Weyes Blood
Mering ist 34 Jahre alt und damit ein Millennial. Sie gehört zu jener Generation, die die Welt noch einen Augenblick ohne Internet erlebt hat und sich an den allerletzten Rest dieser vermeintlich guten Zeiten erinnern kann, deren Weltbild weiterhin prägend ist: „Uns wohnt ein drastischer Fortschrittswille inne, den wir durch das neoliberale Weltbild eingeimpft bekommen haben. Ich glaube, es würde uns sehr viel besser gehen, wenn wir akzeptieren würden, dass unsere Leben und unsere Ressourcen endlich sind. Das Leben nun mal auch Sterben bedeutet und das nicht alles unendlich erweiterbar ist,“ gibt sie zu Bedenken.
Die Musikerin klingt, als hätte sie literaturwissenschaftliche Werke zur Epoche des Barock studiert. Auch im 17. Jahrhundert fand sich der Mensch in einem Spannungsfeld aus Vergangenheit, Zukunft und Angst wieder. Die Kunst lieferte damals zwei Ansätze, damit umzugehen: Das Leben im Übermaß genießen, der Leitspruch lautete „Carpe Diem“ oder sich verkriechen und über die Endlichkeit nachdenken, „memento mori“.
Die Wahl zwischen Ausrasten oder Leiden, wie sie offenbar im Barock getroffen werden musste, geht Weyes Blood nicht ein. Sie macht beides gleichzeitig: Ausrastend leiden. Ihre Gedanken, die Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit, die sie mit Worten ausdrückt, kleidet Weyes Blood in musikalische Opulenz und kratzt dabei mitunter ganz herrlich am Kitsch. Sie verwendet Harfen, Streicher und Mehrstimmigkeit. Es gibt alles und von allem mehr als genug
„Wir haben schon versucht, es auf diesem Album etwas entspannter angehen zu lassen,“ sagt sie. „Bei ‘Titanic Rising’ sind wir noch mehr in die Vollen gegangen und dann war es schwierig, die Platte live zu spielen. Es hat sich mitunter angefühlt, als würde meine Band das Album covern.“
Der Vergleich mit Joni Mitchell, der immer wieder und nicht nur vom „New Yorker“ angestellt wird, passt durchaus. Weyes Blood verneigt sich seit ihren ersten musikalischen Gehversuchen vor guten elf Jahren vor der Ära des Laurel Canyon. Einem Ort, gar nicht weit entfernt von Merlings eigenem Wohnsitz in Pasadena, der in den Sechzigern eben jene Joni Mitchell, The Mamas & The Papas oder The Byrds beherbergte und den Soundtrack zur Woodstock-Hippie-Bewegung lieferte. Wie Mitchell verfügt auch Weyes Blood über eine erhabene, klassische Altstimme, mit der sie es in kunstvolle Höhen schafft. Sie singt teilweise ganz simple Folksongs, die stets etwas Erdiges, Organisches haben.
Aber Weyes Blood bricht das alles, wenn sie plötzlich, etwa auf dem Song „Children Of The Empire“ klingt, als wären The Beach Boys und Abba eine Liason eingegangen. Zu wohlklingenden Whaaas und Ahhhhs und beschwingten Synthies garniert sie dann auch noch Zeilen wie „Oh we don’t have time anymore to be afraid“, für Angst ist sowieso keine Zeit mehr, na immerhin.
Auf „It’s Not Just Me, It’s Everybody“ erklärt sie, dass wir uns selbst nicht mehr fühlen und auch die Verbindung zu denen um uns verloren haben. Wie eine sakrale Feier des Versagens klingt der Song, wenn Merings Stimme sich mit den Geigen zum Höhepunkt des Stückes aufschwingt. Im dazugehörigen Video tanzt Mering in maritimem Outfit durch ein mit Stuck dekoriertes Theater zwischen Verletzten und Toten während sich ein Comic-Smartphone an deren Wunden labt.
Es ist die Schönheit des Bruches, der den Reiz Weyes Bloods ausmacht. Die Lust, mit der sie zwischen Augenzwinkern, Resignation und Nihilismus changiert und dadurch ein oszillierendes Ganzes hervorbringt. Passend auch das Albumcover: Darauf sieht Merling aus, als könnte sie die Protagonistin eines schlechten Groschenromans sein: Weicher Filter, eine rüschenreiches Blüschen und nackte Schultern, dazu das glühende Herz und ein bedeutungsschwangerer Blick weg vom Betrachter. „Ja, ich wollte dass es einem im Gedächtnis bleibt,“ sagt sie und lacht.
Hoch emotional und im musikalischen Überfluss: Vielleicht ist es genau das, was uns gerade rettet, im Angesicht der Beschissenheit der Dinge. Und immerhin: Bei Weyes Blood bedeutet ein gebrochenes Herz auch ein Herz das leuchtet. „So wie diese Leuchtstäbe beim Fischen,“ erklärt sie. Diese haben allerdings eine recht kurze Lebensdauer, bevor sie völlig erlöschen. „Ja, haben wir alle ja auch. Keiner von uns leuchtet ewig, aber wenn, dann wenigstens so hell wie möglich.“
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