Tausend Kilo im Gepäck
Zu den berückendsten, populärsten, auf denkbar ungefährliche Weise irritierenden Arbeiten der vergangenen Kunstmesse Art Basel gehörte gewiss Alicja Kwades Installation „Les Sièges des Mondes“. Diese Sitze der Welten standen locker verteilt in einem vom gediegenen Wohlstand der Stadt kündenden, malerischen Villengärtchen hoch über dem Rhein. Typische Kaffeehausstühle trugen die Last von großen, gewiss mehrere hundert Kilo schweren Marmorkugeln. Man musste nur wissen, dass die Stühle nicht aus Holz, sondern aus schwerer Bronze gefertigt waren, um den sogenannten Parcours wohlig irritiert, aber eben unbelastet von anstrengenden politischen oder auch nur gesellschaftskritischen Inhalten bei schönstem Sonnenschein fortzusetzen.
Der Sommer ist nun zwei Monate weiter, die Menschen ächzen unter der mit dem Sonnenschein einhergehenden Hitze, Berlin ist nicht Basel – und Manon Awst nicht Alicja Kwade. In der Galerie PSM hängt eine Luftmatratze an der Wand, darauf ein Flachbildschirm („Heuldro (solstice)“). Das Video zeigt die Künstlerin Manon Awst in verschiedenen Posen rund um einen mit Gras bewachsenen Erdhügel mit Eingang. Es handelt sich um das neolithische Ganggrab Bryn Celli Ddu auf der walisischen Insel Anglesey. Awst ist Waliserin und trägt in dem Video ein aus einem umgenähten Schlafsack hervorgegangenes Kleid, das mit Klettergriffen besetzt ist. Das Kleid „Fine Balance“ hängt in der Ausstellung. Die Klettergriffe begegnen einem auch noch auf einem Spiegel und einem Spiegel-Paravent. Die Klettergriffe wurden im 3D-Druck aus recycelten PET-Flaschen und Fischernetzen hergestellt. Der zugehörige Waschzettel der Galerie besagt, die Schau wolle „die materielle Dynamik von Freizeit und Tourismus erforschen“.
Die Gegenstände, die für Freizeit und Tourismus offenbar notwendig sind, scheinen besonders häufig aus Kunststoff zu sein: Luftmatratzen, Schwimmflügel, Plastik-Wasserbälle, die textilen Lycra-Bezüge der billigen Klappstühle. Awsts „Interesse liegt in der Art und Weise, wie diese Materialien noch lange nach den Ferien in der Landschaft verbleiben und seltsame Schichten von Infrastruktur und Bedeutung bilden“, weiß der Ausstellungstext. Man darf annehmen, dass das Interesse durchaus auch gesellschaftskritisch motiviert ist.
Die Ausstellung heißt übrigens „Stone’s throw“. Weil die Klimakatastrophe nur noch einen Steinwurf entfernt ist? Steine, Monolithen spielen in Wales – und für die walisische Identität – eine große Rolle. Sie finden sich dort überall. Es gibt sie als Steinkreise, mitunter auch schon mal aus Fiberglas oder als Logo auf dem Grundschulpulli der Künstlerin. Es gibt sie auch in der Ausstellung. Einem ist ein Schwimmflügel übergezogen („Sink or swim”). Ein anderer steckt – genau umgekehrt – in einem Flügel, ebenso wie ein Wasserball in einem etwas größeren.
Und ein noch etwas größerer Stein liegt auf einem Liegesessel („On the rocks“), dehnt den grün-weiß gestreiften Bezug bis auf den Fußboden. Das Empfinden für die Statik wird also in keiner Weise irritiert oder gar herausgefordert. Trotzdem kommt man nicht umhin, an den Art Basel-„Parcours“ und an Alicja Kwade zu denken. Manon Awst ist nicht Alicja Kwade. Aber Alicja Kwade ist eine der geschäftstüchtigsten Kunst-Unternehmerinnen überhaupt. Davon konnte man sich jüngst in der Arte-Doku „Ist das Kunst?“ mit ihr als Protagonistin überzeugen. Vertreten wird sie von dem maximal umtriebigen Galeristen Johann König.
PSM-Galeristin Sabine Schmidt zeigt Bilder einer anderen Arbeit von Manon Awst: „Rock in chair“. Ein stählerner Schaukelstuhl trägt einen großen, unbearbeiteten Stein. Gewiss, das Werk mutet roher, rauer an als Kwades Weltensitze in all ihrer polierten Perfektion. Aber ein bisschen auffällig ist diese merkwürdige Duplizität der Stein-auf-Stuhl-Idee doch. Und es bleibt festzuhalten, dass Awsts „Rock in chair“ auf das vergangene, die Arbeiten von Kwade auf das aktuelle Jahr datiert sind.
Awst ist die bekannteste walisische Künstlerin
Diese etwas rohere, rauere Ästhetik, sagt Sabine Schmidt, werde von Manon Awst in ihren neuen Arbeiten ganz bewusst angestrebt. Um sich abzugrenzen. Manon Awst lebt in Wales – lebt jetzt wieder in Wales. Zuvor war sie Teil des nicht eben erfolglosen Berliner Duos Awst & Walther. Und deren Arbeiten – etwa ein polierter Bronzepfeil in der Wand des Boros-Bunkers – hatten noch eine etwas poliertere Anmutung.
Manche Künstlerduos, wie Elmgreen und Dragset, überdauern die private Trennung ihrer Hälften – andere nicht. Benjamin Walther habe sich ganz aus der Kunst zurückgezogen, sagt Sabine Schmidt. Sie hat bereits Awst & Walther vertreten, jetzt vertritt sie Awst ohne Walther, als deren einzige Galeristin. Das heißt, dass die Kuratoren vom National Museum of Art in Cardiff, das Arbeiten von Awst & Walther in seiner Sammlung hat, schon die Reise nach Berlin antreten müssen, um zu sehen, was, technisch gesehen, die erste Einzelausstellung der derzeit wohl bekanntesten, in jedem Falle relevantesten walisischen Künstlerin in einer Galerie ist. Aber das ist ja quasi nur einen Steinwurf entfernt.
Manon Awsts Arbeiten aus der Ausstellung „Stone’s throw“ kosten bei in der Galerie PSM zwischen 6000 und 16 000 Euro. Das Museum in Cardiff hat bereits reserviert. Jens Müller
Galerie PSM, Schöneberger Ufer 61; heute von 12–16 Uhr