Eine Comic-Legende feiert in schweren Zeiten Geburtstag
Als die erste Ausgabe von „Micky Maus“ in die Läden geliefert wurde, war das eine Sensation. So etwas hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Viele Menschen können sich heute kaum noch vorstellen, wie vor 70 Jahren die hiesige Presselandschaft aussah ‒ insbesondere gab es fast gar keine Comic-Hefte.
Alle deutschen Heft-Serien, die heute mit den 1950er Jahren verbunden werden ‒ etwa Piccolos wie „Sigurd“ und „Akim“ oder auch „Fix und Foxi“ ‒ kamen erst Jahre nach dem „Micky Maus“-Heft auf den Markt, als dieses gewissermaßen den Weg gebahnt hatte. Selbst die Initiierung des ostdeutschen „Mosaik“ kann man sehr konkret darauf zurückführen, dass immer mehr „Micky Maus“-Exemplare über die damals noch relativ leicht zu überwindende Zonengrenze in den Osten einsickerten.
Comics kannte man zunächst vor allem aus Zeitungen oder Zeitschriften, wo etwa „Mecki“ gerade in „Hörzu“ erste größere Abenteuer erleben durfte. Doch diese Zeitschriften ‒ und auch die in ihnen enthaltenen Bildergeschichten ‒ erschienen beinahe ausnahmslos im einfarbigen Druck, also lediglich mit der Druckfarbe Schwarz, die teilweise durch den Braunton Sepia ersetzt wurde, um einen „bunteren“ Eindruck zu erwecken.
In diese doch recht farblose Presselandschaft preschte dann im Spätsommer 1951 „Micky Maus“, das „bunte“ Monatsheft.
Und dieser Anspruch wurde eindrucksvoll eingelöst. Wirklich jede Seite wurde im Vierfarbdruck produziert. Eine wirkliche Sensation für den deutschen Zeitschriftenmarkt, die allerdings auch ihren Preis hatte. Das Heft kostete nämlich unglaubliche 75 Pfennige – also klar mehr als der durchschnittliche Stundenlohn im damaligen Deutschland.
Aus dem Stand mehr als 130.000 Hefte verkauft
Zudem reichten in den frühen 1950er Jahren die Löhne kaum aus, um auch nur Grundbedürfnisse wie Nahrung und Wohnung zu finanzieren. Angesichts dessen ist es schon fast unglaublich, dass aus dem Stand mehr als 130.000 Hefte von „Micky Maus“ verkauft werden konnten.
Doch zunächst mussten sogar einige der wichtigste Figuren aus der Welt der Ducks überhaupt erst ihre deutschen Namen erhalten. Hinter Namensschöpfungen wie „Dagobert Duck“ oder „Daniel Düsentrieb“, die heute jedermann ein Begriff sind, steckte Erika Fuchs, die legendäre erste Chefredakteurin der „Micky Maus“, die über viele Jahre fast im Alleingang die Sprechblasen der „Micky Maus“ aus dem Stuttgarter Ehapa Verlag mit ihrer Sprachkunst füllte.
Gerade ihr Wirken dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass die „Micky Maus“ aus allen Auseinandersetzungen rund um die zunächst höchst umstrittenen Comics herausgehalten werden konnte.
Stattdessen konnte sich „Micky Maus“ schnell etablieren und stieg nicht nur unaufhörlich in der Druckauflage, die sich bald bei rund 400.000 Exemplaren einpendelte, sondern rasch wurde auch der Erscheinungsrhythmus verstärkt. Bereits 1956 wurde das 14tägige Erscheinen eingeführt, nur um eineinhalb Jahre später gleich auf wöchentlich umzusteigen. Konkurrenzblättern wie Kaukas „Fix und Foxi“ gelangen es dabei bestenfalls kurzfristig einmal zum großen Marktführer aufzuschließen.
Doch spätestens in den 1970er Jahren änderte sich die Lage als etwa „Yps“ mit den Gimmicks zu Punkten wusste. Im Gegensatz zu einem „normalen“ Comic-Heft, das im Freundeskreis ausgeliehen den vollen Unterhaltungswert behielt, konnten beigefügte Bastelbögen oder gar richtiges mitgeliefertes Spielzeug nur einen Besitzer finden. Es wurde also für die Kinder zunehmen wichtiger, sich selbst das Magazin zu kaufen.
Höhenflug nach dem Mauerfall
Auch „Micky Maus“ konnte sich diesen Tendenzen nicht dauerhaft entziehen. Eine Zeitlang schienen einfache Bastelbögen in der Heftmitte seinen Zweck zu erfüllen, doch seit Anfang der 1980er Jahre begann man erste, noch nicht so aufwendige Bügelbilder oder Aufkleber beizulegen, die 1984 den Wegfall der Bastelbögen kompensieren sollten.
Damals wurde hierfür auch erstmals der Begriff „Extras“ benutzt, die zunehmend aus Spielzeug oder Scherzartikeln wie dem legendäre Furzkissen bestanden.
Genau zu dieser Zeit setzte „Micky Maus“ zu einem Höhenflug der Auflage an, zu dem auch der Mauerfall entscheidend beitrug. Aus dem Stand ließen sich nach der Wende in der DDR mehr als 200.000 Hefte verkaufen. Alles was aus dem Westen kam, hatte in den damaligen Jahren eine unglaubliche Attraktivität und das galt in ganz besonderem Maße für die Figuren von Walt Disney, die zu den ganz großen Ikonen des „Westens“ zählen.
1991 kletterte die Druckauflage von „Micky Maus“ erstmals auf über eine Million Exemplare und 1998 wurde Heft 10 dann sogar mehr als eine Million mal verkauft. Ein einmaliger Spitzenwert, der nicht gehalten werden konnte.
Denn nach der Jahrtausendwende musste „Micky Maus“ gravierende Veränderung durchmachen. Ein erster heftiger Einschnitt war vor ziemlich genau 20 Jahren der Umzug des Ehapa-Verlags, der heute unter dem Namen Egmont Ehapa firmiert, nach Berlin. Die neue Redaktion in der Hauptstadt musste vor allem auf den erheblichen Rückgang der Geburtenrate ab den 1990er Jahren reagieren, der gerade bei einem Heft für Kinder sehr schnell durchschlägt.
Sturzflug bei den Verkaufszahlen
Außerdem nahm die Konkurrenz auf dem Medienmarkt immer weiter zu. Nicht nur immer mehr Magazine wandten sich an die Kinder, auch TV-Spartensender oder Videospiele buhlten um die immer knapperen Zeitbudgets der jungen Zielgruppen.
Unter diesem Druck experimentierte man immer mehr bei der inhaltlichen Zusammenstellung: Mal gab es mehr redaktionelle Strecken, dann wurden wieder mehr Comics abgedruckt. Und längst ist es Usus in „Micky Maus“, auf mehr oder weniger bedeutende Events – vom Sport-Großereignis bis zur Casting-Show – sowohl in redaktionellen wie auch speziell produzierten Comic-Strecken einzugehen.
Doch all das schien nicht wirklich zu greifen. Die „Micky Maus“ erlebte im letzten Jahrzehnt einen Sturzflug bei den Verkaufszahlen bis schließlich sogar klar unter 100.000 Exemplare.
Eine Entwicklung, auf die der Verlag mit drastischen Maßnahmen reagierte. Seit 2014 wurde die wöchentlichen Erscheinungsweise mittels einzelner Doppelnummern im Handel immer stärker ausgedünnt. Und Ende 2017 kam dann faktisch, ab 2018 auch offiziell der Umstieg auf 14-tägiges Erscheinen. Nach fast genau 60 Jahren gab es nicht mehr jede Woche eine neue „Micky Maus“. Eine echte Zäsur in der deutschen Comic-Landschaft.
Verlagsintern hat der „Micky Maus“ längst das „Lustige Taschenbuch“ den Rang abgelaufen, das heute gut doppelt so viele Käufer findet. Das LTB erreicht alle Altersgruppen und setzt derzeit zu einem ungeahnten Erfolgszug im Buchhandel an – einem Vertriebsweg, der der „Micky Maus“ als Comic-Heft so nicht offensteht.
Die Figur Micky Maus erlebt eine Renaissance
In der kürzlich veröffentlichten und von Egmont selbst mit in Auftrag gegebenen Marktanalyse „Kinder Medien Monitor“ reiht sich „Micky Maus“ bei der Gesamtleserschaft inzwischen sogar noch hinter dem „Donald Duck Sonderheft“ ein.
Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung, denn die Figur Micky Maus selbst ist gerade bei Kindern wieder sehr angesagt. Immer mehr Trickfilme mit ihr werden fürs Fernsehen oder den Streamingdienst Disney+ produziert. Es dürfte also kein Zufall sein, dass in letzter Zeit wieder mehr Maus-Comics in der „Micky Maus“ auftauchen, in der zeitweilig nur noch die Duck-Familie das Sagen hatte.
Und auch an Lesestoff mit Comics, die explizit für das Heftformat produziert werden, mangelt es keineswegs. Denn in den vergangenen Jahren konnte eine erfolgreiche Produkte-Range rund um „Micky Maus“ mit Zusatzpublikationen wie „Micky Maus Comics“ oder „Micky Maus Taschenbuch“ aufgebaut werden.
Parallel zum Jubiläumsheft „Micky Maus“ 18/2021 erscheint an diesem Freitag, dem 20. August, auch noch der Softcover-Band „70 Jahre Micky Maus – Das Beste von 1951 bis 2021“, der Dekade für Dekade neben dem Abdruck ausgewählter Comics die Historie des Traditionsmagazins nachzeichnet, das sich mit insgesamt 1,3 Milliarden verkauften Heften immer noch als erfolgreichstes Kinder-Magazin Europas behauptet.