Auf dem Amt und in den Büchern

Als Rainer Schmidt neulich zum ersten „Writers’ Thursday“ nach Beginn der Pandemie lud, musste man sich erstmal ortskundig machen: Der Amtsalon in Charlottenburg? Wo ist der denn genau? Was ist dort zu erwarten?

Früher befand sich hier das Charlottenburger Amtsgericht, in einem durchaus eindrucksvollen Prachtbau von 1896, und erst vor kurzem gab es in den Räumen des Amtsalons eine von 24 Berliner Galerien ausgerichtete Pop-Up-Messe.

Der Senat bewarb anlässlich dieses Events den Veranstaltungsort auf seiner Website so: „Das denkmalgeschützte Gebäude soll von nun an als multidisziplinäre Plattform und Transformationsort für die kreative Szene Berlins dienen. Der Amtsalon markiert den Startpunkt der Neuausrichtung des ehemaligen Gerichts.“

Am vergangenen Donnerstag war also die Literatur die „Disziplin“, die den Innenhof des Amtsalons bespielt hat. Besser gesagt: Es gab einen Literatursalon im Amtsalon. Denn zu Schmidts 2015 gegründeten „Writers’ Thursday“, der vor Corona vier Mal im Jahr im ersten Stock des Borchardt stattfand (und dort weiter seine Zentrale hat), gehen viele der Gäste nicht nur der Lesungen wegen, sondern auch, um sich zu treffen und auszutauschen.

Sven Regener las aus seinem neuen Roman

Die Literatur hier könnte man als jung, anders oder Post-Pop beschreiben, als Gegenmodell zur Büchner-Preis-Literatur. Beim „Writers’ Thursday“ lesen Autorinnen wie Cemile Sahin, Margarete Stokowski oder Helene Hegemann, Autoren wie Dirk von Lowtzow oder Eckhart Nickel, aber auch Schauspieler wie Burghart Klaußner oder Christian Berkel.

Beim Neustart nach der pandemiebedingten Zwangspause war es eine Mischung aus alten Bekannten und, wenn man so will: „Writers’ Thursday“-Debütant:innen: Ronya Othmann las aus ihrem Debütroman „Die Sommer“, Juliane Liebert aus ihrem Lyrikband „Lieder an das große Nichts“, und Johan Scheerer aus seinem zweiten Roman „Unheimlich nah“.

Sven Regener wiederum ist Stammgast, ähnlich wie Helene Hegemann, beide kommen manchmal auch einfach so, ohne auf der Bühne zu sein. Regener las erstmals aus „Glitterschnitter“, einer im September erscheinenden Fortsetzung seines 2017er-Romans „Wiener Straße“, im Grunde auch seiner drei Lehmann-Romane.

An was schreibt eigentlich Rainald Goetz

Und Hegemann trug einen Text vor, den sie über eine frühe, sie tief beeindruckende Begegnung mit Patti Smith geschrieben hat, der sich aber zunächst wie eine Abrechnung mit Patti Smith und deren Generation anhörte.

Passend auch, dass Norman Ohler den Abend mit einer Passage aus „Harro und Libertas“ eröffnete, seinem Buch über Harro und Libertas Schulze-Boysen, die mit der Gruppe „Rote Kapelle“ aktiven Widerstand gegen die Nazis leisteten; sie beide wurden nämlich in den Zellen des Amtsgerichts Charlottenburg festgehalten und zum Tode verurteilt.

Und sonst? War man überrascht, dass es nur eine statt wie üblich zwei Leserunden gab, weshalb das Geplauder früher als sonst einsetzte und sich Fragen wie diese stellten: Findet die Frankfurter Buchmesse wirklich statt? Wird sie dieses Mal ein kleines, aber feines Event? Kommt irgendwann noch einmal ein entscheidendes Buch von Rainald Goetz? Geht die Literaturbetriebsfeiersaison wieder los? Warum war Joachim Lottmann nicht da? Und wird Sven Regeners Roman „Glitterschnitter“ wieder ein Bestseller?

Klar beantworten ließ sich nur die letzte dieser Fragen: Ja.