Deutsches Symphonie-Orchester Berlin: Ungewöhnlich farbige Klanggemälde
Klangwellen durchfluten den Raum. In sich kreisende, simple Dreiklangsfiguren schichten sich komplex auf, zerplatzen und formieren sich neu, verschlungen von massiven, dunkel drohenden Tubaklängen, denen metallisches Schlagzeug die grellen Spitzen aufsetzt. Was in der „Harmonielehre“ des amerikanischen „Minimalisten“ John Adams als angenehmes Geplätscher daherkommen könnte, geschärft nur durch pulsierende, sich überraschend verschiebende Rhythmen, wird bei Ingo Metzmacher zum überwältigend farbigen, architektonisch stimmigen Klanggemälde.
Mit schwungvoller Gestik holt der Dirigent nicht nur das Äußerste an Klangsinnlichkeit aus dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin heraus. Hier ist auch ein engagiertes Einvernehmen zu spüren, das auch eine gute Portion Wiedersehensfreude ausstrahlt: Metzmacher war von 2007 bis 2010 Chef des DSO, sein Abgang von politischen Querelen überschattet – jetzt ist die Stimmung einfach nur glänzend, auch beim Publikum, das schon zu Beginn wärmsten Applaus spendet und nach der gar nicht minimalen Brillanz des Adams-Stücks die einzelnen Orchestergruppen frenetisch bejubelt.
Das Stück, das sich im Titel auf Arnold Schönbergs „Harmonielehre“ bezieht und, ganz anders als der spätere Meister der Zwölftonmusik, die Harmonien auf ihre Wirksamkeit befragt, interpretiert Metzmacher vom gewichtigen zweiten Satz her. „The Amfortas Wound“ (die Wunde des Amfortas) befasst sich mit dem Graslkönig, der auch in Wagners „Parsifal“ Schmerz und tödliches Leiden verkörpert. Eine ganz andere, viel romantischere, chromatischere Klangwelt voll weit ausschweifender Melodik – sie schlägt den Bogen zu Max Regers horrend schwierigem, nahezu unspielbarem Klavierkonzert f-Moll.
Mit seiner Dauer-Chromatik auf dem Weg zur Moderne steckenbleibend, seiner fortissimo-Überladenheit und Über-Dramatisierung strapaziert das Werk auch heutige Ohren. Eindrucksvoll stemmt Markus Becker den Kraftakt unablässiger Oktav- und Akkordkaskaden, setzt bei jeder Gelegenheit den Kontrast zarter Lyrismen dagegen. Ein kleines Wunder, wie Metzmacher im orchestralen Bombast noch so etwas wie Transparenz erzeugen, strukturierende Akzente setzen kann.
Metzmacher, stets kreativer, konsequent denkender Programm-Macher, stellt dieser kontrastreichen Klang-Reise das 2020 entstandene Stück „Casino“ von Anton Plate (geb. 1950) voran. Es bündelt quasi alles danach Erklingende, lässt grellbunt aufgetürmte Harmonien dissonant in Abgründe stürzen, bricht die Schärfe des Peitschenschlags mit lapidarem Jaulen von Lotosflöten – ein Lacher. Auch diese hochspannende Uraufführung wird heftig beklatscht.