Erster Dortmunder Comicpreis für Hannah Brinkmann: Gewissensprüfung mit fatalen Folgen

Der junge Mann scheint einen direkt anzugucken. Die Augen im schmalen, von langen Haaren gerahmten Gesicht sind groß und ernst. Unnachgiebig drängt ihn sein Gegenüber zur Antwort auf eine Frage, die über seine Zukunft entscheidet: Würde er sich im Falle eines Angriffs wehren?

Das „Taktaktak“ der Schreibmaschine füllt den Raum. Über die Stirn des Befragten rinnen dicke Schweißperlen. Von einem Panel zum nächsten wandert sein Kopf im Bildausschnitt nach unten ,als sei etwas in ihm aus dem Gleichgewicht geraten.

Szenen einer „Gewissensprüfung“, wie sie bis in die 1980er Jahre Zehntausende junge Männer in der Bundesrepublik erlebt haben. Jeder Wehrdienstverweigerer musste die oft schikanöse, von Ex-Soldaten geleitete Befragung durchlaufen, deren Ausgang darüber entschied, ob sie zur Minderheit gehörten, die Zivildienst leisten durfte. Der Antrag von Hermann Brinkmann, dem Onkel der Hamburger Künstlerin Hannah Brinkmann, wurde 1973 abgelehnt – mit fatalen Folgen.

Hannah Brinkmann erzählt in ihrem Buch von ihrem Onkel, dessen Antrag auf Wehrdienstverweigerung 1973 abgelehnt wurde. Hier eine Seite daraus.

© avant

Nach Beginn des Wehrdiensts nimmt er sich das Leben

In klaren Bildern, die mit ihrer statischen Anmutung und den markanten Linien an Holzschnitte erinnern, nähert sich die 30-Jährige in ihrem Comicdebüt „Gegen mein Gewissen“ ihrem so sensiblen wie prinzipientreuen Onkel an, den sie nie persönlich kennenlernte: Kurz nach Beginn seines Wehrdienstes nahm der überzeugte Pazifist sich das Leben.

Wie es dazu kam, vermittelt Brinkmann in sachlichen Bildfolgen, die gelegentlich durch surrealistische Sequenzen ergänzt werden. So entsteht ein Generationenporträt, in dem sich vor allem viele Leser mittleren und fortgeschrittenen Alters wiedererkennen dürften. Und Jüngere lernen etwas über ein wichtiges Kapitel der bundesdeutschen Geschichte, das man selten so anschaulich vermittelt bekommen hat.

Hannah Brinkmann gelingt es in herausragender Weise, den politischen Diskurs der jungen Bundesrepublik mit dem persönlichen Schicksals ihres Onkels zu verknüpfen.

Aus der Jurybegründung für die Verleihung des ersten Dortmunder Comicpreises

Vier Jahre nach seiner Veröffentlichung im Berliner avant-Verlag ist „Gegen mein Gewissen“ jetzt mit einer neuen Auszeichnung geehrt worden: Hannah Brinkmann wird dafür mit dem ersten Dortmunder Comic-Preis geehrt. Das verkündete die dortige Stadtverwaltung in dieser Woche.

Die Würdigung ist mit 10.000 Euro dotiert und soll künftig alle zwei Jahre vergeben werden. Oberbürgermeister Thomas Westphal will den Preis am 7. Februar 2025 bei einer öffentlichen Veranstaltung überreichen.

„Hannah Brinkmann gelingt es in herausragender Weise, den politischen Diskurs der jungen Bundesrepublik und die Frage, ob ein Staat berechtigt sein kann, über das Gewissen seiner jungen Bürger*innen zu entscheiden, mit dem persönlichen Schicksals ihres Onkels zu verknüpfen“, heißt es in der Begründung der Jury. Das sei „eine gleichermaßen meisterliche wie empathische und somit äußerst preiswürdige Leistung“.

Hannah Brinkmann: „Gegen mein Gewissen“, avant, 232 Seiten, 30 Euro.

© avant

Im November soll bei avant das neue Buch von Hannah Brinkmann erscheinen, in dem sie sich ebenfalls mit einer politischen Biografie auseinandersetzt: „Zeit heilt keine Wunden“. Einen ersten Einblick in das Projekt gibt es in diesem Artikel.