Immun gegen die Müdigkeit: Der 1. FC Union setzt auf Wucht, Qual und Genuss

Es ist nicht sonderlich überraschend, wenn sich im Spiel zwischen einer ausgeruhten und einer zuletzt stark belasteten Mannschaft in der Schlussphase Konditionsunterschiede offenbaren. Erstaunlich ist es allerdings, wenn eben das Team mit schier endlosen Englischen Wochen in den letzten Minuten ein denkwürdiges Powerplay aufzieht.

Ein Zuschauer ohne Vorkenntnisse hätte beim emotionalen 2:1-Erfolg des 1. FC Union gegen Borussia Mönchengladbach am Sonntag mit Sicherheit darauf gewettet, dass die Berliner ausgeruht ins Spiel gegangen sind. Doch sie haben in dieser Saison nicht nur fünf Spiele mehr absolviert als die Borussia, sondern hatten nach ihrem Europapokalauftritt am vergangenen Donnerstag auch weniger als die Hälfte an Vorbereitungs- und Erholungszeit. Dennoch überrannten sie den Gegner in der Schlussphase regelrecht.

Während Gladbachs Christoph Kramer über „schwere Beine“ und eine erschreckende Passivität in der letzten halben Stunde klagte, stemmte sich Union mit aller Macht gegen die Niederlage und verdiente sich mit der letzten Aktion sogar noch den Sieg. „Es wurde von Minute zu Minute packender“, sagte Unions Mittelfeldorganisator Rani Khedira und sprach von der dominantesten Phase, die er in anderthalb Jahren in Berlin bisher erlebt hat. „Wir genießen es, alle drei Tage spielen zu dürfen“, sagte Khedira. Müdigkeit sei vor allem eine Sache des Kopfes, hatte Julian Ryerson vor einigen Tagen behauptet.

Die Köpfe der Berliner waren am Sonntag sehr frisch und es war beeindruckend, mit welcher Wucht sie in der Schlussphase zu Werke ging. Die Mannschaft von Trainer Urs Fischer lief mit 117,9 Kilometern fast sieben mehr als der Gegner und die Schlussphase glich einem Belagerungszustand des Gladbacher Strafraums.

Nachdem der Videoassistent schon in der ersten Halbzeit ein Berliner Tor aberkannt hatte, wurde auch der vermeintliche Siegtreffer des eingewechselten Kapitäns Christopher Trimmel in der 87. Minute aberkannt. „Im ersten Moment sackst du kurz zusammen, aber dann sagst du dir, wir haben noch vier, fünf Minuten. Das können wir schaffen“, beschrieb Khedira die mentale Stärke seines Teams.

Diese Gewinnermentalität war für Siegtorschütze Danilho Doekhi der entscheidende Faktor. „Wir sind in dieser Saison nicht oft in Rückstand geraten, aber wir haben in der zweiten Halbzeit gefühlt, dass wir sie haben, dass wir sie schlagen können“, sagte der Niederländer nach seinem ersten Bundesligator.

Auch Fischer war von der Leistung seiner Spieler angetan. Zum ersten Mal in dieser Saison gelang es Union, einen Rückstand zu drehen und besonders die Art und Weise beeindruckte den Schweizer: „Die Mannschaft hat bis zum Schluss daran geglaubt, ohne die Kontrolle über das Spiel zu verlieren. Das war nicht wild.“

Wenn du nach zwölf Spieltagen Tabellenführer bist, bist du einfach aktuell die beste Mannschaft in der Bundesliga – und das total verdient.

Gladbachs Trainer Daniel Farke

Fischer hatte selbst großen Anteil an der packenden Aufholjagd. Er wechselte nach einer knappen Stunde dreifach, kurz darauf brachte er zwei weitere Stürmer. Kevin Behrens erzielte den wichtigen Ausgleich, Jamie Leweling bereitete den Siegtreffer vor. „Jeder ist heiß, jeder will dem Trainer zeigen, dass er da ist“, sagte Behrens über die Wucht der Joker.

Gerade in dieser Phase mit extrem vielen Spielen, aktuell befindet sich Union in der vierten von sechs Englischen Wochen in Folge, ist die Breite des Kaders eine wichtige Ressource. Fischer rotiert in der Startformation zwar eher gemäßigt, wechselt aber vor allem in der Offensive oft zeitig. Das gefällt insbesondere Sheraldo Becker meist nicht, doch es ist äußerst effektiv – um dem Spiel neuen Schwung zu verleihen und mit den Kräften hauszuhalten. Schließlich steht am Donnerstag bereits das nächste richtungsweisende Spiel an. Bei St. Gilloise brauchen die Berliner einen Sieg, um in der Europa League zu überwintern.

In der Bundesliga hat Union die Tabellenführung zum sechsten Mal in Folge behauptet. „Das ist immer noch ein Stück weit surreal und eine geile Momentaufnahme, die wir genießen“, sagte Khedira. Das stetig größer werdende Standing der Berliner in der Bundesliga wurde auch beim Blick auf den Gegner deutlich.

Die Gladbacher standen schon in der ersten Hälfte recht tief, um Union keine Räume zum schnellen Umschalten zu geben. Im Ballbesitz mieden sie das Risiko. „Das hat mich schon gewundert, weil Gladbach eine ziemlich spielstarke Mannschaft ist“, sagte Khedira. „Aber es zeigt auch den Respekt vor unserem Anlaufen, vor unserem Pressing.“ Aus diesem großen Respekt machten die Gladbacher danach kein großes Geheimnis. „Wenn du nach zwölf Spieltagen Tabellenführer bist, bist du einfach aktuell die beste Mannschaft in der Bundesliga – und das total verdient“, sagte Trainer Daniel Farke.

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