Zukunft der Berlinale : Programm soll weiter gestrafft werden

Dass die Berlinale sparen muss und einige Krisen zu bewältigen hat, war spätestens mit dem Ende des diesjährigen Festivals im Februar klar. Aber stimmt es, dass möglicherweise gleich drei Sektionen aus Kostengründen gestrichen werden müssen, wie „Spiegel online“ jetzt berichtet, pünktlich zur viertägigen Sommer-Berlinale im Freiluftkino Friedrichshain an diesem Wochenende?

Dem Magazin zufolge hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth der Berlinale ein „indirektes Sparprogramm“ auferlegt, deshalb könnten drei der zwölf Sektionen künftig wegfallen: die Reihe für deutsche Nachwuchsfilme „Perspektive Deutsches Kinos“, diejenige für die Serien „Berlinale Series“ und sogar die umfängliche Retrospektive mitsamt der meist zehnteiligen „Hommage“ mit Filmen des jeweiligen Ehrenpreis-Gewinners wie in diesem Jahr Steven Spielberg. Als Indiz führt der Bericht unter anderem den Weggang der „Series“-Leiterin Julia Fidel an.

Was ist dran an den besorgniserregenden Spekulationen? Fakt ist, und daraus hat die Berlinale-Leitung schon zu Jahresbeginn keinen Hehl gemacht: Die mit dem seit Jahren zunehmenden Rückzug der Sponsoren und den beiden Corona-bedingten reduzierten Festivalausgaben einhergehenden finanziellen Engpässe haben sich mit der Energiekrise samt Inflation verschärft. Wegen der gestiegenen Energie- und Kino-Mietkosten hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth deshalb für die 73. Berlinale aus der Bundesschatulle 2,2 Millionen Euro Extra-Zuschuss locker gemacht, über die Regelförderung in Höhe von 10,7 Millionen Euro hinaus. Dass es sich um ein einmaliges Plus handelt, stand von vornherein fest, ebenso, dass nicht an der Regelförderung gekürzt wird.

Die staatlichen Gelder machen etwa ein Drittel des Gesamtbudgets aus. Hinzu kommen die wieder verlässlichen Erlöse aus den Eigeneinnahmen – der Publikumszuspruch der diesjährigen Ausgabe fiel mit 320.000 verkauften Tickets so hoch aus wie vor der Pandemie – und die sogenannten Drittmittel, sprich: die Beiträge der Sponsoren. Bei letzteren hapert es, auch bei anderen Kulturveranstaltungen ziehen die Partner sich seit Jahren zurück. Gefragt sind unkonventionelle Lösungen: So hatte die Berlinale in diesem Jahr statt eines Auto-Sponsors die umstrittene Mobilitätsplattform Uber als Partner für den Shuttle-Service gewonnen.

Mit anderen Worten: Dass die Berlinale mit weniger Geld auskommen muss als vor der Pandemie, steht längst fest. Es wäre verantwortungslos, wenn die Festivalleitung mit Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und dem künstlerischen Leiter Carlo Chatrian nicht intern diskutieren würde, wie sie das bewerkstelligt. Auf Nachfrage heißt es nun aus dem Festivalbüro: „Es gibt keine externe Sparvorgabe der BKM, vielmehr sehen wir als Festival angesichts stagnierender Budgets und steigender Kosten die Notwendigkeit, ressourcenschonende Maßnahmen zu ergreifen, um langfristig ein starkes Festival und eine gute Plattform für die Filmindustrie garantieren zu können.“

Deshalb, so Geschäftsführerin Rissenbeek, „wollen wir die Anzahl der Filme im Gesamtprogramm weiter straffen“. Aktuell werde evaluiert und diskutiert, „wie das konkret umgesetzt werden kann“. Und wie ist es mit den drei im „Spiegel“ genannten Sektionen? „Serien und deutsche Nachwuchsfilme werden nach wie vor einen Platz im Programm haben, wie auch das filmhistorische Programm.“

Will heißen: Möglich, dass der Zuschnitt der Sektionen sich ändert und dass bei der ohnehin teils anders finanzierten Retrospektive in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek nächstes Jahr ein einmalig abgespecktes Programm präsentiert wird. Aber ein Aus für die in den auf den Prüfstand gestellten Sektionen wird es zumindest inhaltlich nicht geben. So soll etwa die „Perspektive“-Leiterin Jenni Zylka weiterhin um Nachwuchs-Produktionen kuratieren und sich um die Präsentation erster und zweiter deutschsprachiger Regiearbeiten kümmern.

Rissenbeek weist in ihrem Statement darauf hin, dass die Programmstruktur bereits seit 2020 unter dem neuen Leitungsduo mit Chatrian weiterentwickelt wurde. Wohl wahr: Chatrian führte neben der Bären-Konkurrenz mit „Encounters“ einen zweiten Wettbewerb ein. Die „Außer Konkurrenz“-Schiene wurde abgeschafft, zugunsten der neu zugeschnittenen „Specials“, auch mit der von Amtsvorgänger Dieter Kosslick eingeführten Reihe „Kulinarisches Kino“ war Schluss. . Ein weiteres Überdenken der Strukturen hab bereits begonnen, so Rissenbeek. Die aktuelle ökonomische Situation habe dies nun natürlich forciert. „Konkrete Maßnahmen werden wir baldmöglichst veröffentlichen.“

Seit Jahren wird das Festival dafür kritisiert, dass das Programm zu unübersichtlich sei. Die „Perspektive Deutsches Kino“ war von Dieter Kosslick bei dessen Amtsantritt 2002 eingeführt worden, um die Präsenz des deutschen Films auf der Berlinale zu stärken – die hiesige Branche und das Festival waren lange zerstritten. Die Befriedungsmaßnahme hat längst gefruchtet, in diesem Jahr liefen gleich fünf deutsche Filme im Wettbewerb. Warum also nicht Nachwuchsfilme in den anderen Nebenreihen zeigen, im Panorama oder im Forum? Warum nicht tatsächlich noch etwas mehr entschlacken und das Profil der zahlreichen Reihen schärfen? Weniger Filme, und die dafür häufiger zeigen, auch diese Forderung ist nicht neu.

So oder so, der Tanker Berlinale schlingert in unruhigem Fahrwasser. Viele bewährte Festivalkinos haben in den letzten Jahren geschlossen oder fielen wegen Umbaus weg. Der Potsdamer Platz ist jetzt nur noch Zentrum für die Fachbesucher, die Zukunft des Berlinale-Palasts ist ungewiss, und die Publikumskinos sind über die ganze Stadt verteilt. Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek hatte außerdem Ende März bekannt gegeben, dass sie ihren Vertrag über 2024 hinaus nicht verlängert. Die dann 68-Jährige wird also nächstes Jahr ihr letztes Festival mit ausrichten. Über die Vertragsverlängerung von Carlo Chatrian ist noch nicht entschieden. Hinter den Kulissen hieß es immer mal wieder, die Zusammenarbeit der beiden sei nicht optimal. Claudia Roth gab daraufhin bekannt, dass auch die Governancestrukturen des Festivals überprüft werden sollten. Nächste Woche steht ein Treffen des Leitungsduos mit der Kulturstaatsministerin im Kalender. Bestimmt werden dabei auch die Spar- und Umbaupläne mit Roth als oberster Dienstherrin der Berlinale erörtert.

Was immer die Evaluierung der Berlinale-Leitung und Verwaltung ergeben sollte. Klar ist, dass eine Leitung in Personalunion wie zu Zeiten von Dieter Kosslick wegen des schieren Umfangs der Aufgaben keine Option mehr ist. Klar ist auch: Sowohl über die Vertragsverlängerung Chatrians wie über die Nachfolgefrage bei Rissenbeek muss schleunigst entschieden werden, Personalien brauchen in der internationalen Festivallandschaft einen langen Vorlauf. Das Festival muss aus dem Krisenmodus heraus. Ohne ein deutliches Bekenntnis der Politik zum weltgrößten Publikumsfestival wird das nicht gehen.