Der erste Saisonsieg im dritten Spiel: Mehr Klarheit im Mittelfeld von Hertha BSC
Der Kapitän ließ auf sich warten. Als Trainer Pal Dardai bereits seine einleitenden Worte an den Rest der Mannschaft richtete, plauderte Marco Richter noch in aller Ruhe mit ein paar Bekannten, die überraschend am Trainingsplatz von Hertha BSC aufgetaucht waren. Aber das war nicht weiter dramatisch, weil Richter eigentlich gar nicht hätte hier sein müssen.
Die Spieler, die wie er am Tag zuvor beim souveränen 5:0-Erfolg bei Carl Zeiss Jena in der Startelf gestanden hatten, durften am Sonntag zur Regeneration eine Runde Fahrrad fahren. Marco Richter aber wollte lieber mit den Reservisten laufen gehen. Fahrradfahren ist offenbar nicht seins. „Er fühlt sich da nicht so wohl“, berichtete Trainer Dardai.
Sich wohlfühlen, das spielt für Richter eine wichtige Rolle. Er benötigt ein gutes Klima und muss sich gewertschätzt fühlen, um auf dem Fußballplatz seine beste Leistung abzurufen. Auch deshalb hat ihm Dardai schon in der Vorbereitung die Rolle des Zehners zugedacht, weil Richter selbst sich dort am stärksten sieht. Richtig überzeugt hat er auf der Position allerdings noch nicht. Bis Samstag in Jena.
Nach dem Einzug in die zweite Runde des DFB-Pokals wurde Herthas Kapitän als „Man of the Match“ ausgezeichnet. Zwei der fünf Tore hatte er für seine Mannschaft erzielt. Wobei: Ein echter Zehner war er im Duell mit dem Regionalligisten gar nicht gewesen. Herthas Mannschaft hatte sich im Ballbesitz eher in einem 4-1-4-1 mit Richter als einem von zwei Achtern sortiert.
Wenn er einfach spielt, ist er ein Weltklasse-Fußballer.
Pal Dardai, Herthas Trainer, über Marco Richter
Auf den ersten Blick konnte man das für einen klugen Schachzug von Trainer Pal Dardai halten: Richter aus dem Zentrum ein wenig auf die Seite zu verschieben und ihn so auch ein wenig von der Last der Verantwortung zu befreien. In Wirklichkeit aber war die Anpassung in der Zentrale der Grundordnung des Gegners geschuldet, der in der Abwehr mit einer Dreierkette spielte.
Dass Richter und seine Qualitäten besser zur Geltung kamen, führte daher eher auf den Einfluss des klassischen Stoßstürmers Haris Tabakovic zurück, der in Jena sein Startelfdebüt feierte. Der Schweizer ist mit seinen 1,94 Meter eine imposante Erscheinung und absorbiert eine Menge Aufmerksamkeit. Dadurch schafft er Räume, auch für Marco Richter. „Das tut ihm gut“, sagte Dardai.
Auch mit einer anderen Maßnahme trug Herthas Trainer dazu bei, Richter in die richtige Richtung zu stupsen. Nachdem er ihn bei der Heimniederlage gegen Wehen ausgewechselt hatte, verdonnerte Dardai ihn und auch Derry Scherhant zu Beginn der neuen Trainingswoche dazu, ausschließlich mit zwei Kontakten zu spielen, egal bei welcher Übung. „Sie haben mich böse angeguckt“, berichtete der Ungar. „Ich habe gesagt: ,Ich will nur helfen.‘“
Richter neigt dazu, die Dinge zu kompliziert zu machen. In Jena aber spielte er zur Freude seines Trainers vor allem: einfach. Denn: „Wenn er einfach spielt, ist er ein Weltklasse-Fußballer.“ Richter habe selber gespürt, dass er dadurch effektiver sei, mehr Tore erziele und dem Gegner noch mehr weh tue: „Dann muss er nicht alles alleine machen.“
Saisondebüt für Suat Serdar
Dass Suat Serdar als zweiter Achter aufgeboten wurde, trug vermutlich ebenso dazu bei, Richter ein wenig zu entlasten. Der frühere Nationalspieler stand in Jena erstmals seit dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga für Hertha auf dem Platz. Bei den beiden ersten beiden Saisonspielen hatte er sich noch nicht bereit gefühlt, nachdem Dardai ihm die Entscheidung überlassen hatte. „Er hat sehr lange gezögert“, berichtete Herthas Trainer.
Weil Serdar sich im Urlaub am Bein verletzt hatte, hat er den größten Teil der Vorbereitung verpasst. Die körperlichen Defizite und auch der Mangel an Spielpraxis waren in Jena noch deutlich zu erkennen, aber auch die Qualität, die Serdar ins Spiel seiner Mannschaft bringen kann. Als sogenannter Box-to-Box-Spieler bewegt er sich zwischen den beiden Strafräumen, er ist laufstark und in der Lage, mit Dribblings, verfahrene Situationen aufzulösen.
Exemplarisch war das vor dem 1:0 zu sehen. Serdar war weder Torschütze noch Vorlagengeber, noch gab er die Vorlage zur Vorlage. Und trotzdem wäre das Tor durch Palko Dardai nicht gefallen, wenn Serdar nicht mit einem Lauf parallel zur Strafraumgrenze das Spiel von der rechten auf die linke Seite verlagert hätte.
Serdar fügt Herthas Spiel eine andere Komponente hinzu, er belebt mit seinen Läufen das zentrale Mittelfeld, das in den ersten Spielen oft zu statisch wirkte. „Einen Typ wie ihn haben wir nicht“, sagte Dardai, „er ist unser einziger Sechzehner-zu-Sechzehner-Fußballer.“ Die Frage ist nur: wie lange noch?
Tendenziell hat Serdar andere Ansprüche als die Zweite Liga. Genau wie Marco Richter. Und beide könnten den Klub – bei entsprechenden Angeboten – noch bis zum 1. September verlassen. „Am Ende entscheiden sie“, sagte Pal Dardai. „Wenn sie ein Riesenangebot haben, müssen sie sagen: Ich will lieber für Hertha BSC spielen. Ich kann mich da nicht einmischen. Ich kann sie nur trainieren und meine ehrliche Meinung äußern.“