Männer dürfen weinen
Darf man sich Johnny Knoxville als einen glücklichen Menschen vorstellen? Ganz sicher als einen sorgenfreien. Sonst würde Knoxville vermutlich kaum zwanzig seines (erwachsenen) Lebens die Frage beschäftigt haben, wie man unter Wasser Furze anzündet. „Jackass Forever“ von Regisseur Jeff Tremaine, der vierte Kinofilm zwanzig Jahre nach dem Ende der MTV-Kultserie, ist voll von solchen Bekenntnissen mittelalter Männer, die ihr gesamtes Leben im Zustand fortschreitender Adoleszenz verbracht haben.
Natürlich ist Knoxville nicht an einer wissenschaftlichen Lösung des Problems interessiert, sein Methan-Experiment hätte es jedenfalls nie in die „Knoff-hoff Show“ geschafft. Unter einer Glaskuppel nähert sich ein Bunsenbrenner gefährlich dem Anus seines Versuchskaninchens, das in einer Art gynäkologischen Stuhl in einem Wasserbassin liegt. Am Ende explodiert die ganze Chose, einmal in Echtzeit und dann mehrmals noch in Zeitlupe.
Die Zeitlupe war in den „Jackass“-Filmen schon immer der money shot, mit zunehmendem Alter der geschundenen Körper ist die Detailansicht – auf schmerzverzerrte Gesichter, wallende Schwabbelbäuche, blutige Hoden – aber die eigentliche Attraktion. Johnny Knoxville wird demnächst 51, seine Mitstreiter Steve-O und Chris Pontius sind 47, der kleingewachsene Jason „Wee-Man“ Acuña geht auf die 50 zu.
Dass die „Jackass“-Gang es zwölf Jahre nach ihrem letzten gemeinsamen Film (angemessen in 3D) noch einmal wissen will, hat nicht nur nostalgische Gründe – auch wenn das MTV-Logo gleich am Anfang ein wohliges Gefühl auslöst. Es geht dabei auch um eine Form der Selbstbestätigung, wie weit die müden Körper einen noch tragen. Und ob sich diese dauerpubertierenden Gemüter je von ihren Körpern einhegen lassen.
Männliche Genitalien werden nicht geschont
Die Prank-Compilation „Jackass Forever“ beginnt mit einer Godzilla-Parodie, die künftig alle Roland-Emmerich-Filme überflüssig macht. Das grüne Reptil, das da durch die Straßen stapft, ist allerdings eindeutig menschlichen Ursprungs: Es handelt sich um den Schwanz von Chris Pontius, der sich mitsamt seines Besitzers durch ein Modell von New York schiebt. Den Höhepunkt dieses absurden Katastrophenszenarios darf man dabei wörtlich verstehen.
Mit zunehmendem Alter schwindet bei Knoxville übrigens auch das Schamgefühl, an full frontal nudity mangelt es in „Jackass Forever“ nicht. Männliche Genitalien werden lustvoll in Mitleidenschaft gezogen: „Danger“ Ehren McGhehey setzt seine Kronjuwelen dem Schwergewichtsboxer Francis Ngannou aus, Steve-O lässt sein bestes Stück mit Honig einschmieren und mit einem Bienenstock behängen.
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Als Knoxville und seine Jungs vor über zwanzig Jahren die Idee zu der Stuntshow „Jackass“ hatten, besaß die Idee, die eigenen Körper zu Unterhaltungszwecken zu malträtieren, noch ein gewisses Subversionspotential. Der Körper war im Neoliberalismus der Clinton-Ära die letzte Bastion der Selbstvergewisserung gewesen, die noch nicht in die Warenform übergegangen war. Unter den traumatischen Bush-Jahren war der Schmerz, den man(n) sich selbst zufügte, ein Akt der Selbstermächtigung.
Die Ära der männlichen Idiotie
Dass die „Jackass“-Filme ausgerechnet die Ära Trump übersprangen, in der die männliche Idiotie, wie Knoxville & Co sie performen, die tollsten und gefährlichsten Blüten trieb, nimmt der Rückkehr dieser Prankster allerdings ihr subversives Moment. Die Körperpolitik von „Jackass“ ist in der Selbstinszenierungsflut der sozialen Medien ein Anachronismus, darüber können auch die Auftritte von Rachel Wolfson nicht hinwegtäuschen, der ersten Frau im Team.
(In 14 Berliner Kinos, auch OmU)
Dem genitalfixierten Schmerzensrausch der männlichen Körperkasper hätte sie vielleicht noch einen interessanten Aspekt hinzufügen können, leider reicht es dann nur für das doofe Klischee einer „Botox-Behandlung“ mit dem Gift eines angriffslustigen Skorpions (trotzdem eine der originelleren „Challenges“). Im Gegensatz zur Schadenfreude, die man bei früher so beliebten Formaten wie „America’s Funniest Homevideo“ oder Videos mit spektakulären Skateboard-Unfällen empfand, geht es bei „Jackass“ aber um ein Zusammengehörigkeitsgefühl – im Schmerz.
Das ist sicher ein regressives Konzept, aber dieses Klassentreffen der Schmerzensclowns hat durchaus auch berührende Momente. Denn die jugendliche Männlichkeit, mit der man einen Johnny Knoxville immer noch verbindet (seine Haare sind in einigen Szenen allerdings bereits schlohweiß), zeigt deutliche Risse. So ist etwa nie ganz klar, ob die Tränen, die hier vergossen werden, vor Lachen oder vor Schmerzen fließen. Diese Kindsmänner scheuen sich nicht davor, ihre Gefühle zu zeigen. Ihre Tränen lügen nicht.