Zartheit und handfestes Gebalge

Mit strengem Blick umkreist die französische Kursleiterin die Zeichnenden. Ein Aktzeichenkurs in Paris ist Anfang der 1990er Jahre für Noa Berman-Herzberg aus Israel das Aufatmen nach dem Ende des Golfkriegs. Der Kurs führt sie zusammen mit einer jungen schwarzen Deutschen, Jennifer Teege. Die beiden Frauen freunden sich an und kurz vor Ausbruch der zweiten Intifada kommt Teege nach Tel Aviv, bleibt für einige Jahre. Dann bricht sie den Kontakt ab. Sie hat herausgefunden, dass sie die Enkelin von Amon Göth ist, jenem Kommandanten des KZ Plaszow, der prominent in „Schindlers Liste“ auftaucht.

„Holy Holocaust“ von Osi Wald und Noa Berman-Herzberg erzählt in knallbunten Bildern von der Weitergabe von Traumata durch die Generationen sowie der Komplexität von Fragen der Identität und Geschichte. Die Zeichnungen mit den flächigen Figuren vor linearen Hintergründen erinnern an Animationen aus den 1960er Jahren. „Holy Holocaust“ läuft im Programm des sehenswerten Animationsfilmfestivals „Tricky Women“, das noch bis Sonntag in Wien stattfindet. Parallel zum Präsenzprogramm gibt es dieses Jahr auch ein Onlineangebot, das die meisten der Filme der Auswahl auch aus der Ferne verfügbar macht.

Zwei junge Frauen sammeln an einer postapokalyptischen Küste Flaschen, die das Meer angetrieben hat. Die beiden schirmen einander gegen die Einsamkeit ab. Die Dinge, die sie sammeln, sind für die beiden Boten eines weniger tristen Lebens. In ihrem Umgang miteinander überspielen die Frauen eine Zartheit mit handfestem Gebalge. Als die Protagonistin auf einem der Streifzüge ein hundeartiges Wesen sieht, folgt sie diesem. Doch ihre anfängliche Fürsorge endet bald. „Reduction“ der jungen ungarischen Animationsfilmerin Réka Anna Szakály ist ein Film über Sehnsüchte, Projektionen und Hoffnung inmitten lastenden Graus.

Seit inzwischen fast zwanzig Jahren widmet sich „Tricky Women“ den Arbeiten von Filmemacherinnen. An fünf Tagen präsentiert das Festival eine Vielzahl meist kurzer Filme im Wettbewerb, der Nachwuchsreihe „Up and Coming“ und verschiedenen Themenprogrammen – unter anderem zwei Blöcken über intergenerationelle Traumata.

Das Schweigen über die Vergangenheit

„Ruhe, reden wir nicht über die Vergangenheit.“ – „Kein Jiddisch zuhause sprechen.“ Sätze, die die Familiengeschichte in Yuliya Laninas animiertem Kurzfilm „Gefilte Fish“ skizzieren. Der beginnt damit, dass die Großmutter, ihr Vater und ihr Onkel durch einen Zufall einem Massaker entkommen, während der Rest der Familie in Chudniv in der heutigen Ukraine von Deutschen und ukrainischer Polizei ermordet werden. Jahre später sitzt die Protagonistin vor einem liebevoll zubereiteten Teller gefilte Fisch und bekommt keinen Bissen herunter.

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Das Schweigen über die Vergangenheit ist zu einem Schweigen über eine Missbrauchsgeschichte geworden, die aus dem Trauma erwuchs. Laninas Film läuft in einer der zwei Reihen zu dem Thema, die leider nicht zur Online-Auswahl von „Tricky Women“ gehören.

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Boyoung Kims „A Guitar in a Bucket“ wiederum beschreibt eine Welt, die sich gänzlich aus Automaten speist. Für die morgendliche Dusche zieht sich die Protagonistin ein Paket aus einem haushohen Automaten, entfaltet den Karton über sich – und steht in einer Duschkabine. Ihr Hab und Gut tragen die Menschen in Eimern auf dem Rücken herum, im Fall von Kims Hauptfigur ist das eine Gitarre. Jede Interaktion der Menschen ist warenförmig und wird bezahlt. Einzig die Musik ist in dieser Welt frei.

(Noch bis zum 13. März. Eine Auswahl des Programms ist im Netz unter online.trickywomen.at zu sehen)

Blaue Strichzeichnungen auf weißem Grund sind der Fixpunkt, zu dem Paola Sorrentinos „Girls Talk about Football“ immer wieder zurückkehrt. Sorrentino kombiniert Interviews mit Fußballerinnen und animierten Bildern – selbst gezeichneten sowie solchen, in denen Archivmaterial übermalt wird. Diese Technik stellt ihre Gespräche in eine historische Linie des Frauenfußballs und umgibt die individuellen Erzählungen zugleich spielerisch.

Seit seinem Bestehen hat „Tricky Women“ erheblich zur Sichtbarkeit animierter Filme von Frauen in Österreich beigetragen. Die Freiheit der Animation ermöglicht Bilder, die nicht vom Abbildcharakter dominiert sind. „Holy Holocaust“ hebt seine Protagonistinnen anders hervor, als es etwa ein nicht-animierter Film könnte. „Gefilte Fish“ lässt über die visuelle Fixierung auf die Augen Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen. Der Gegensatz von animiertem und fotografiertem Bild zeigt, wie sehr unsere Sehgewohnheiten von den Konventionen des realistischen Abbilds geprägt sind. „Tricky Women“ stellt dieser Repräsentation die Alternativbilder weiblicher Animationsfilme gegenüber.